Tod einer Schildkröte

Die traurige Nachricht des Tages: Die Schildkröte im Hanoier Hoan-Kiem-See ist offenbar gestorben. Heute Nachmittag entdeckten Passanten das im Wasser treibende, tote Tier. Man muss dazu sagen: Die Schildkröte war, nach allem was wir wissen, alt. Sehr alt. Auch wenn man der Legende nicht Glauben schenken mag, dass es dieselbe Schildkröte ist, die bereits vor Jahrhunderten König Le Loi im Kampf gegen die Chinesen half, war sie trotzdem ein recht altehrwürdiges Tier. Jüngste Versuche, ihr Geschlecht zu bestimmen, und dadurch vielleicht irgendwie die Linie zu erhalten, waren vor einigen Jahren gescheitert.

Nun sterben Tiere, das ist erst einmal nichts ungewöhnliches. Die Schildkröte hat aber tatsächlich, als lebender Mythos, so lange den Hoan-Kiem-See geprägt (inklusive der gerade bei Touristen und Neuankömmlingen häufig gestellten Frage: Gibt es sie denn wirklich? Also: Wirklich wirklich?), dass es tatsächlich ein Schock ist, sollte es sie fortan nicht mehr geben. Es gab dem Hoan-Kiem-See etwas deutlich Verwunschenes, dass dort tatsächlich eine alte Wasserschildkröte hauste, die man, mit ganz, ganz viel Glück, sogar auftauchen sehen konnte.

Natürlich hat die Sache noch eine zweite Implikation: Die Legende besagt ja, solange die Schildkröte lebt, sei Vietnam vor der Invasion der Chinesen geschützt. Die Beziehungen zu China stehen ja aktuell mal wieder nicht zum Besten, bezüglich der Grenz- und Besitzstreitigkeiten im Südchinesischen Meer (auch „Ostmeer“ genannt). Vielleicht hat es damit zu tun, dass offenbar die ersten Berichte über den Tod der Schildkröte plötzlich wieder verschwanden. Vielleicht wollte man die Chinesen nicht auf dumme Gedanken bringen. Nur, so ist das eben mit dem Internet: Was einmal da ist, ist da. Und bleibt. Also auch die Nachricht vom Schildkrötentod. Mittlerweile berichten auch ganz offiziell Vietnamnet (englisch) oder Tuoi Tre (vietnamesisch) (neben, sagen wir, zigtrillionen Blogs und sonstigen Social-Web-Miniseiten).

Ich stelle mir gerade vor, wie im fernen Peking eine Riege betagter Politiker und Generäle die Köpfe zusammenstecken und murmeln: „Die Schildkröte ist tot! Jetzt können wir endlich die Attacke auf Vietnam wagen!“ Und ich gestehe, das Bild lässt mich ja etwas schmunzeln. Weil ich es irgendwie anrührend fände, wenn China sich tatsächlich all die Jahre von einer Wasserschildkröte hätte einschüchtern lassen.

Und ein ganz klein wenig Lächeln tut ja immer gut, bei traurigen Nachrichten.

Pho mit Salz

Ich war am Sonntag vietnamesisch essen. Nichts großartiges, ein kleiner Schnellimbiss mit immerhin einem Raum mit Tischen in der Innenstadt. Gerade neu eröffnet, und wir kennen die Besitzer. Es gab Pho bo tai lan, also Pho mit frisch gebratenem Rindfleisch. Eine eher seltene Variante, normalerweise wird das Fleisch ja roh in die Suppe getaucht und quasi „nachgedünstet“ oder es wird zuvor stundenlang gekocht. Die bekannteste Nudelküche, die als „Begründer“ dieser Variante gilt, befindet sich direkt in der Hanoier Straße, in der ich jahrelang gewohnt habe, in der „13, Lò Dúc“ (der Name ist „Pho Thìn“, falls da mal jemand vorbeigehen möchte).

Nun war das Essen logischerweise nicht so gut wie das Hanoier Original. Geht auch gar nicht, denn in Deutschland ist es fast unmöglich, frische Pho-Nudeln zu machen, die meisten kleinen Restaurants benutzen getrocknete Nudeln, und das schmeckt man.

Was man ebenfalls schmeckte, war Salz in der Suppe. Das war ein in mehrfacher Hinsicht ungewöhnlicher Geschmack. Pho ist nicht salzig. Eigentlich ist gar kein vietnamesisches Essen salzig, es sei denn, es ist Fischsoße drin, oder ähnliche Zutaten, aber deren salziger Geschmack schmeckt anders als Salz, also das Salz, was wir alle kennen. Salz verwendet man in der vietnamesischen Küche eigentlich höchstens, um beim Snacken das Obst hinein zu tunken (und noch für ein paar andere, sehr seltene Gelegenheiten).

Anders gesagt, der Geschmack fiel auf. Wir haben gleich mal nachgefragt, was das soll. Es gibt ja, gerade in Deutschland, sehr viele Restaurants, die scheinbar bewusst viel salzen, um die Gäste zum trinken zu animieren. Ehrlich gesagt ist mir vor Vietnam nie aufgefallen, wie unglaublich versalzen unser Essen ist, gerade und vor allem in Restaurants. Das ist schon extrem auffällig, wenn man ein paar Jahre gewohnt war, überwiegend ohne Streusalz zu essen. Die Antwort lautete: „Die Deutschen lieben Salz. Die beschweren sich sonst, wenn die Suppe nicht anständig gesalzen ist.“ Da wir die Besitzer wie gesagt kennen, gibt es erstmal wenig Grund, warum sie uns da anflunkern sollten. Und offen gestanden kann ich mir das so richtig gut vorstellen: Der deutsche Gast, wie er nach mehr Salz in der Suppe verlangt.

Man könnte natürlich auch einfach Salzstreuer auf die Tische stellen. Das wiederum ist allerdings für Vietnamesen eine höchst befremdliche Idee.

Nachruf

Ich konnte offen gestanden mit dem Talkshow- und Bestseller-Menschen Scholl-Latour in den vergangenen Jahren wenig anfangen. Die meisten seiner Thesen erschienen mir arg verkürzt, und auch ein wenig großspurig hingeworfen mit dem Gestus dessen, der sowieso mehr erlebt hat, als alle anderen, und damit automatisch im Recht sein muss.

Das ändert allerdings überhaupt nichts an der Tatsache, dass ich „Der Tod im Reisfeld“ nach wie vor für ein beeindruckendes Buch halte. Wobei auch hier schon in Ansätzen der Scholl-Latour durchschimmert, der mich bei seinen vergangenen Fernseh-Auftritten vielleicht eher mit der Stirn runzeln ließ. Anders gesagt: Was mich an seinem Vietnam-Buch beeindruckt, ist weniger eine analytische Schärfe. Die konnte es damals, mitten im Krieg, auch noch gar nicht geben. Wer mittendrin ist, hat selten den Überblick. Wie auch? Viele Zusammenhänge und Verwicklungen und politischen Manöver und Motive wurden sowieso erst Jahre später klar.

Was mich an dem Buch beeindruckt hat, und wofür Peter Scholl-Latour aus meiner Sicht auch damals stand und bis heute steht, ist der unbändige Wille des Reporters, sich mitten ins Getümmel zu stürzen, und einfach zu schreiben, und vor allem: zu beschreiben. Die Szenen, in denen er aus einem Hubschrauber berichtet oder einfach mitten aufs Land fährt, um sich dort unter Einheimische zu mischen, sind klassische Reportage im besten Sinne. Reportage soll nicht analysieren, sie soll erzählen. Und um erzählen zu können, braucht sie Stoff. Scholl-Latour war Meister darin, sich diesen Stoff zu besorgen. Selbst in seinen späteren Büchern schimmert immer wieder durch, wie er sich noch als 70-Jähriger in Jeeps setzte, um durch irgendwelche Wüsten zu fahren, einfach nur um vor Ort zu sein.

Leider ist er in Zeiten eingesparter Korrespondentenbüros und Schnell-schnell-Berichten, in denen nur sehr langsam wieder Gruppen und Projekte auftauchen, die „die Reportage“ wiederbeleben wollen (meist über Ideen wie Crowdfunding oder unabhängige Zusammenschlüsse von freien Journalisten), damit auch ein Relikt einer Welt, in der man tatsächlich noch die Zeit und das Geld hatte, als Journalist in den vietnamesischen Dschungel zu fahren.

In diesem Sinne ziehe ich tief meinen Hut. Meinen Reisstrohhut.

Lärm – live!

Es ist nicht so als, hätte ich mich an den Lärm in Vietnam nicht in gewisser Weise gewöhnt. Es gibt allerlei Geräuschquellen, die haben mich in den vergangenen Jahren nicht mehr aufgeregt. Selbst die nachmittägliche Lautsprecher-Musik samt Durchsagen habe ich, trotz allen Spotts und immer wieder auch hier im Blog geäußerter schnippischer Kommentare, gelassener ertragen, als ich so etwas wohl in Deutschland ertragen würde. Gehört halt dazu. Irgendwie Teil der Folklore, Teil des Lebensgefühls. Vom Hupkonzert und dem abendlichen Karaoke-Gejaule aus der Nachbarschaft ganz zu schweigen. Hanoi lärmt. Das ist eben so.

Was dann wiederum nichts daran ändert, dass ich Lärm prinzipiell für eine sehr schädliche Form von Stress halte. Sicherlich auch mit ein Grund, warum ich mich schließlich für die Rückkehr entschieden habe. Gerade während meiner Stadttouren fiel mir der Lärmpegel besonders auf. Die Berufsbeschreibung eines Stadtführers in Hanoi schließt im Grund mit ein, sich während der acht Stunden Arbeitszeit permanent beschallen zu lassen. Nicht zuletzt deswegen war mir eine Führung durch den Literaturtempel immer lieber, als eine Führung durch die Hanoier Altstadt. Altstadt ist überraschender, lebendiger, hat mehr Details und unerwartete Begegnungen. Aber sie ist vor allem auch einfach: laut.

Zu meinen häufig geäußerten Sätzen, wenn irgend ein Nachbar von der Straßenseite gegenüber um 23 Uhr zu den wummernden Klängen seiner Karaoke-Maschine in lauten Tönen winselte, gehörte jedenfalls: „Also…! In Deutschland gäbe es sowas nicht!“ (Mir ist dabei völlig bewusst, dass der Satz gleichzeitig nach 80-jährigen Wutbürger und naivem Auswanderer klingt. Es tut trotzdem einfach gut, ihn zu sagen. Man kann ja sonst nichts machen.)

Nun feierte gestern mein Nachbar in Deutschland eine Gartenparty.

Es gab keine Karaoke-Maschine. Dafür eine Live-Band. Die Live-Band spielte allerhand gefällige, sommerliche Party-Musik, so die übliche Mischung aus rockigem Pop und poppigem Rock, gewürzt mit ein paar Schnulzen. Es war vielleicht nicht unbedingt die Musik, die ich mir samstags abends angehört hätte, aber es war auch kein Chrrrz!-Chrrrz!! Es war aber: Sehr laut. SEHR laut. Man könnte das daran hören, dass in den Pausen, die die Live-Band machte, Musik vom Band gespielt wurde, die deutlich leiser war. Ich sage es mal so: Wenn die Band spielte, konnte ich meinen Fernseher nicht mehr hören. Trotz geschlossener Fenster. (Der Nachbar hat ein sehr großes Grundstück, ich bin sicher, es stand dort eine höchst imposante Anlage. Als Vietnam-Erfahrener habe ich es auch durchaus als Fortschritt empfunden, dass die Boxen und das gesamte Sound-System tadellos ausgesteuert war, und weder quietschte noch übersteuerte. Man lernt ja durchaus so etwas zu schätzen.)

Ich hab wirklich nichts gegen Party. Ich habe auch mal im Studentenwohnheim gewohnt. Ich habe auch nichts gegen Live-Band. Ich habe allerdings durchaus ein klein wenig etwas dagegen, wenn mein Nachbar mir nach einer sehr anstrengenden Arbeitswoche vorschreiben will, dass ich frühestens um 2 Uhr morgens einschlafen darf. Ich finde das nicht ganz fair. Hätte ich nicht ein kleines Kind zu Hause gehabt, hätte ich mir wohl meinen Anzug übergeworfen, und hätte mich selbst zur Party eingeladen. (Ich bin ziemlich sicher, dass das eine Anzug-Party war. Der Mann ist Notar oder Chefarzt oder irgend sowas…).

Da mir also diese Option leider nicht möglich war, habe ich das Ordnungsamt angerufen.

Leider war das Ordungsamt gerade anderweitig beschäftigt, vermutlich mussten sie gerade den Lärmpegel auf irgend einem Weinfest regeln, also bin ich bei einem diensthabenden Polizisten gelandet. Ich habe dem Polizisten erklärt, dass er sich bitte keinen Stress machen solle, aber falls mal irgendwann im Laufe der Nacht jemand frei sei, um vielleicht da vorbei zu fahren… Meinen Segen hätte die Aktion. Der gute Mann erklärte, er werde weiter versuchen, das Ordungsamt zu informieren, und falls die nicht mehr erreichbar seien, eine seiner Streifen, das könne aber dauern. Ich bin ehrlich gesagt ziemlich sicher, dass am Ende niemand vorbei kam.

Ist aber auch egal.

Allein die Tatsache, irgendwo anrufen zu können war hochgradig befriedigend. Jahrelang konnte ich Lärm nur mit „Also-in-Deutschland“-Sprüchen kontern. Jetzt, wo mir Deutschland eindrucksvoll bewiesen hat, dass diese Sprüche alle Käse waren, hatte ich wenigstens die Gelegenheit, mich bei jemandem zu beschweren, der mir tatsächlich zuhört. Tolle Sache. Ich glaube sogar, das steckt letztlich hinter dem deutschen Wutbürger: Es geht gar nicht darum, dass er wütend ist. Es geht darum, dass ihm jemand Aufmerksamkeit für seine Wut schenkt. Völlig egal, ob das die Medien sind, oder die Politik, oder eine Gruppe anderer Wutbürger – oder ein freundlicher Mann auf der Polizeidienststelle um Mitternacht.

Rückkehr

Ich habe vor vielen Jahren, es muss noch zu Zeiten des Studiums oder sogar davor gewesen sein, mal einen Artikel gelesen über einen Afrika-Korrespondenten, der nach zehn Jahren im Ausland wieder nach Deutschland zurückkehrt. Er schilderte auf äußerst unterhaltsame Weise, wie sich der umgedrehte Kulturschock über ein ihm fremdes Deutschland äußerte. Ich weiß noch, dass mich die Schilderung damals neidisch gemacht hat, auf eine schwer bestimmbare Art. Ich wollte auch mal erleben, wie es ist, wenn plötzlich die Zeit zehn Jahre nach vorne gedreht wird.

(„Little did I know…“)

Jedenfalls schilderte der Mann unter anderem, wie in seiner Abwesenheit sich plötzlich das Telefonieren verändert hatte. Er musste plötzlich neu lernen, zu telefonieren, weil in der Zwischenzeit der Telefonmarkt privatisiert war. Einige Leser erinnern sich vielleicht noch, eine Zeitlang fing jeder an, Vorwahlen vor die Vorwahl zu wählen. Außerdem musste er Mülltrennung lernen, mit plötzlich einem halben Dutzend verschiedenfarbiger Tonnen. (Es muss also so um die 90er Jahre herum gewesen sein.)

Nun war ich in den vergangenen acht Jahren niemals so weit weg von Deutschland, wie der Afrika-Korrespondent es in den 80er/90er Jahren gewesen sein kann. Schließlich gibt es heute Internet. Ich bilde mir ein, allein durch Facebook, Twitter, Youtube und diverse Foren eine ganze Reihe an popkulturellen und alltagsgesprächsthematischen Entwicklungen, Besonderheiten und Aufregern mitbekommen zu haben. Zumindest soweit sie mich überhaupt interessierten.

Trotzdem stelle ich fest, dass sich Deutschland verändert hat.

Zum Beispiel die Sache mit den Limonaden. Als ich Anfang der 2000er wegging, bestanden die Softdrinks meines Wissens nach aus Cola und Limonade. Okay, es waren nicht mehr ganz die 80er, und eine Marke wie die „Bionade“ trat damals wohl schon gerade ihren zeitweiligen Siegeszug an, und waren zumindest ein Begriff, aber, hey, ich habe jetzt auch nicht gerade im Berlin der Hipster gewohnt (und anscheinend sind ja mittlerweile sogar die Hipster out). Jedenfalls war die Chance groß, dass man in einer Gruppe Kollegen mittags zum Essen ausging, und die einen bestellten Cola, die anderen Wasser, und wieder andere vermutlich Apfelsaftschorle. Oder, je nachdem, was es so für Kollegen waren, vielleicht auch Bier.

Ich war vergangene Woche mit einer Gruppe Kollegen aus.

Auf dem Tisch standen, Rhabarberlimonade, Lemongras-Limonade, Grapefruit-Cranberry-Limonade, Holunderblütenlimonade und zwei weitere Limonaden, bei denen der Markenname größer auf der Flasche stand, als die Geschmacksrichtung, allerdings waren es Markennamen, die ich noch nie gehört habe.

Was fehlte, waren Cola, Wasser oder Apfelsaft.

Vielleicht hab ich auch einfach nur besonders seltsame Kollegen. Und ich sollte vermutlich einfach froh sein, dass ich weder neu telefonieren noch Müll trennen lernen muss. Aber verblüfft bin ich schon. Vor allem darüber, dass die meisten dieser Getränke trotz ihrer kreativen Namen und Geschmacksrichtungen irgendwie trotzdem eigentlich nur nach Zucker, Süßstoff und Bonbongeschmack schmecken.

Ich vermisse frischgepressten Limettensaft und Passionsfruchtsaft.

Wie man korrekt mit Handys umgeht

Eine meiner Lieblingsanekdoten über Vietnam besteht darin, dass Vietnamesen immer und überall ans Telefon gehen. Am Lenkrad. In der Oper. Mitten in der Prüfung. Auf dem Rednerpult. Immer. Überall. Ich habe dazu im „Fettnäpfchenführer Vietnam“
ein eigenes Kapitel geschrieben.

Als mir dann ein Link zugeschickt wurde über einen Video-Clip von einem Fernseh-Experten, dessen Handy klingelt, war ich mir ziemlich sicher, wie die Sache ausgeht.

Was soll ich sagen?

Ich habe mich geirrt.

Vietnamesisch in Deutschland

Ich habe es jetzt ziemlich genau 12 Tage ohne vietnamesisches Essen ausgehalten, und war dann heute so neugierig, Vietnamesisch essen zu gehen. Dazu muss man sagen, dass ich leider nicht in Berlin wohne, wo in einigen Restaurants die Pho wirklich sehr authentisch schmeckt, sondern in Südwestdeutschland, wo man eigentlich froh sein kann, wenn der vietnamesische Koch nicht „Thai-Restaurant“ an die Tür schreibt, weil mit vietnamesischer Küche niemand etwas anfangen kann.

War jedenfalls sehr unterhaltsam.

Die Besitzerin war ausgesprochen nett, und der Service, mit Verlaub, deutlich besser als in Hanoi. Tat außerdem gut, mal wieder Vietnamesisch zu sprechen, hab ich fast schon vermisst.

Das Essen hingegen… Hm. Also die Suppe schmeckte eher nach Thai-Suppe, war sehr scharf und ging Richtung süß-sauer. Der gebratene Reis mit Huhn war schon deutlich leckerer, allerdings merkte man an zwei Dingen, dass man in Deutschland war: Zum einen war die Portion sehr groß. „Deutsch“ groß. So wie drei aufeinandergestapelte Schnitzel. Zweitens waren die Hühnchenstücke im Reis ebenfalls sehr groß. Kein vietnamesischer Straßenkoch würde so viel Huhn in den Reis packen. Eigentlich würden, wenn ich mich recht entsinne, die meisten sowieso keinen „Com chien ga“ anbieten, keinen gebratenen Reis mit Huhn. In gebratenen Reis kommt in Hanoi entweder Rind oder kleingeschnetzelte Garnelen. Oder eine bunte Mischung mit allen möglichen kleinen Fleischstückchen in eher homöopathischen Dosen.

Hier hingegen gab es dicke Stücke Hühnerbrust. Womit mal wieder der Beweis angetreten wäre, dass ausländische Küche sich den Gesetzen des Landes beugen muss, in dem sie serviert wird. In Deutschland ist die Huhn-Beilage dicke Hühnerbrust.

Außerdem fiel mir auf, dass ich das vietnamesische Wort für „Apfelsaftschorle“ nicht kenne. Das Problem beginnt damit, dass es in Vietnam keine Schorle gibt, zumindest nicht, wenn man darunter Mineralwasser versteht. Folgerichtig antwortete mir die Besitzerin auch, als ich danach fragte, einfach nur mit dem vietnamesischen Begriff für „Apfelsaft“. Auch da ist, genau genommen, etwas dran: Der „Zitronensaft“ in Hanoi besteht schließlich auch nicht aus reiner Zitrone, sondern aus einem Wasser-Saft-Gemisch.

Kulturschock

Es gibt Kleinigkeiten, die versetzen einen langjährigen Vietnam-Expat nach der Rückkehr nach Deutschland in Verwunderung. Und sie sagen vielleicht einiges aus, über beide Länder.

Zum Beispiel habe ich mir angewöhnt, Geschirr, Tassen, Teekannen immer ganz besonders gründlich abzutrocknen, um nicht aus Versehen verunreinigtes Leitungswasser zu trinken. Ich muss mich tatsächlich wieder daran gewöhnen, dass mir das hier nicht nur passieren darf, sondern dass ich sogar den offenen Mund unter den Wasserhahn halten kann. Wenn ich will. Dazu muss man sagen, dass das vermutlich die ganze Zeit ohnehin immer nur ein psychologischer Tick war, ich will gar nicht wissen, in wie vielen Straßenrestaurants und Suppenküchen ich alle mögliche Arten von Leitungswasser getrunken habe.

Gleichzeitig versetzt mich die Tatsache, Kekse über eine Nacht offen in der Küche liegen zu lassen, ohne dass sie am nächsten Tag von Ameisen wimmeln, von Kakerlaken angefressen oder vor lauter Luftfeuchtigkeit zu Brei zerlaufen oder verschimmelt sind, in eine Art kindliches Erstaunen. Das gleiche gilt für ein Glas Milch, ein Glas Saft oder ein Stück Zucker. Eigentlich für alle Lebensmittel. Die Vorstellung, dass ich meinen Kühlschrank nun tatsächlich wieder für Lebensmittel nutzen kann, die ich kühlen will, und nicht mehr für solche nutzen muss, die ich vor Motten, Maden und Ungeziefer schützen möchte, ist noch sehr surreal.

Ich bin ebenfalls überrascht, dass ich die Menschen um mich herum wieder verstehe, ohne mich dabei darauf konzentrieren zu müssen, was sie sagen.

Und man kann an einem warmen Sommerabend im Haus sitzen, ohne die Klimaanlage oder den Ventilator einschalten zu müssen. Überhaupt empfinde ich die Hitze hier vor Ort als überraschend angenehm, weil es trockene Hitze ist. Man kann trotz Hitze auf die Straße gehen, ohne nach drei Schritten nassgeschwitzt, schnaufend klebrige Luft einzuatmen.

Ich muss mich allerdings tatsächlich daran gewöhnen, bei einem kleineren Verkehrsstau nicht einfach zur Seite zu ziehen und den Stau mal so eben locker links zu überholen.

Flugrouten

Ich kenne die Flugroute des Unglücksfliegers MH17 sehr gut. In den vergangenen drei Jahren bin ich etwa ein Dutzend Mal nach Deutschland und zurück geflogen. Nicht mit Malaysia Airlines, sondern mit dem Direktflug von Hanoi nach Frankfurt der staatlichen vietnamesischen Fluggesellschaft. Wenn die kleinen Computerbildschirme an Bord aber stimmen, dann handelt es sich um eine fast identische Flugroute, was, offenbar, auch kein Einzelfall ist. Auch die Lufthansa oder KLM sind in der Vergangenheit über die Ukraine geflogen.

Auf dem Weg zurück nach Deutschland war das Auftauchen der Stadt Donetsk auf dem Bildschirm immer so etwas wie ein erlösendes Signal: Nun sind es nur noch etwa 2-3 Stunden bis zur Ankunft.

Offen gestanden: Wenn ich aus der Luft die Länder verfolgt habe, über die ich geflogen bin, habe ich mich schon immer gefragt, über welche unglaubliche Ansammlung von Krisenregionen man eigentlich so hinweg fliegt. Myanmar, Bangladesch, Indien, Pakistan, Afghanistan, Iran, Turkmenistan, Georgien, die südrussischen Kaukasus-Provinzen, und schließlich die Ukraine. Bis vor kurzem wäre mir da die Ukraine noch als das Land eingefallen, in dem am wenigsten die Gefahr vor Nachbarschaftskriegen oder Bürgerkriegen besteht. Ich hatte sogar einmal einen befreundeten Piloten gefragt, ob bei Flügen über Afghanistan und Pakistan nicht die Gefahr bestehe, von irgend einer verirrten Rakete getroffen zu werden. Seine Antwort lautete damals: „Passagierflugzeuge fliegen viel zu hoch, um von Raketen erreicht werden zu können. Völlig unmöglich.“

Die Ereignisse in der Ukraine haben ihn nun leider eines Gegenteils belehrt. Vermutlich, muss man hinzufügen, denn in einem derartig aufgeheizten Klima von Krieg, Unruhe und Absturzkatastrophe sollte man trotz allem vorsichtig mit voreiligen Schlüssen sein, auch wenn die Theorie mit dem Abschuss schlüssig klingt. Was auch immer der Grund war – plötzlich erklären offizielle Stellen, dass ein solcher Abschuss zumindest sehr wohl denkbar und möglich ist.

Die Tatsache, dass dieses Flugzeug völlig problemlos auch meines hätte sein können, lässt mich stumm zurück.

Alles hat ein Ende

Es gab in den vergangenen Wochen einige dramatische Ereignisse. Das für dieses Blog sicherlich relevanteste Ereignis ist die Tatsache, dass ich einen neuen Job angenommen habe, und seit dem 15. Juli 2014 wieder in Deutschland arbeite.

Damit endet nach knapp acht Jahren mein persönliches Abenteuer Vietnam. Vorerst.

Gleichzeitig, könnte man argumentieren, hat damit dieses Blog auch seine Berechtigung verloren, schließlich sollte es aus Vietnam erzählen, was nun räumlich nicht mehr möglich ist. Nun muss das so nicht sein. Es gäbe durchaus noch Dinge zu erzählen, auch aus der Ferne. Ich habe auch noch längst nicht meine kleine Hintergrundbesprechung von 151 Vietnam beendet. Und ich bleibe dem Thema Vietnam zumindest noch bis Ende des Jahres verbunden, denn für das Frühjahr 2015 ist der Erscheinungstermin meines dritten Vietnam-Buches geplant. Auch das war übrigens ein entscheidender Grund dafür, dass auf dieser Seite mal wieder sträfliche Stille herrschte. Wie schon bei meinen vergangenen beiden Büchern flossen für einige Wochen die Ideen, die ich im Alltag aufgeschnappt habe, in das Manuskript anstelle des Blogs.

Insofern mache ich hier vorerst noch nicht zu, sondern schaue mal, inwieweit sich das Rad hier noch etwas weiter drehen lässt. Vielleicht finden sich auch aus der Ferne genug Themen.

Ein sehr einschneidender Lebensabschnitt allerdings ist vorerst zuende gegangen. Ich bedanke mich bei allen Lesern, die mich bis hierhin begleitet haben.