Lärm – live!

Es ist nicht so als, hätte ich mich an den Lärm in Vietnam nicht in gewisser Weise gewöhnt. Es gibt allerlei Geräuschquellen, die haben mich in den vergangenen Jahren nicht mehr aufgeregt. Selbst die nachmittägliche Lautsprecher-Musik samt Durchsagen habe ich, trotz allen Spotts und immer wieder auch hier im Blog geäußerter schnippischer Kommentare, gelassener ertragen, als ich so etwas wohl in Deutschland ertragen würde. Gehört halt dazu. Irgendwie Teil der Folklore, Teil des Lebensgefühls. Vom Hupkonzert und dem abendlichen Karaoke-Gejaule aus der Nachbarschaft ganz zu schweigen. Hanoi lärmt. Das ist eben so.

Was dann wiederum nichts daran ändert, dass ich Lärm prinzipiell für eine sehr schädliche Form von Stress halte. Sicherlich auch mit ein Grund, warum ich mich schließlich für die Rückkehr entschieden habe. Gerade während meiner Stadttouren fiel mir der Lärmpegel besonders auf. Die Berufsbeschreibung eines Stadtführers in Hanoi schließt im Grund mit ein, sich während der acht Stunden Arbeitszeit permanent beschallen zu lassen. Nicht zuletzt deswegen war mir eine Führung durch den Literaturtempel immer lieber, als eine Führung durch die Hanoier Altstadt. Altstadt ist überraschender, lebendiger, hat mehr Details und unerwartete Begegnungen. Aber sie ist vor allem auch einfach: laut.

Zu meinen häufig geäußerten Sätzen, wenn irgend ein Nachbar von der Straßenseite gegenüber um 23 Uhr zu den wummernden Klängen seiner Karaoke-Maschine in lauten Tönen winselte, gehörte jedenfalls: „Also…! In Deutschland gäbe es sowas nicht!“ (Mir ist dabei völlig bewusst, dass der Satz gleichzeitig nach 80-jährigen Wutbürger und naivem Auswanderer klingt. Es tut trotzdem einfach gut, ihn zu sagen. Man kann ja sonst nichts machen.)

Nun feierte gestern mein Nachbar in Deutschland eine Gartenparty.

Es gab keine Karaoke-Maschine. Dafür eine Live-Band. Die Live-Band spielte allerhand gefällige, sommerliche Party-Musik, so die übliche Mischung aus rockigem Pop und poppigem Rock, gewürzt mit ein paar Schnulzen. Es war vielleicht nicht unbedingt die Musik, die ich mir samstags abends angehört hätte, aber es war auch kein Chrrrz!-Chrrrz!! Es war aber: Sehr laut. SEHR laut. Man könnte das daran hören, dass in den Pausen, die die Live-Band machte, Musik vom Band gespielt wurde, die deutlich leiser war. Ich sage es mal so: Wenn die Band spielte, konnte ich meinen Fernseher nicht mehr hören. Trotz geschlossener Fenster. (Der Nachbar hat ein sehr großes Grundstück, ich bin sicher, es stand dort eine höchst imposante Anlage. Als Vietnam-Erfahrener habe ich es auch durchaus als Fortschritt empfunden, dass die Boxen und das gesamte Sound-System tadellos ausgesteuert war, und weder quietschte noch übersteuerte. Man lernt ja durchaus so etwas zu schätzen.)

Ich hab wirklich nichts gegen Party. Ich habe auch mal im Studentenwohnheim gewohnt. Ich habe auch nichts gegen Live-Band. Ich habe allerdings durchaus ein klein wenig etwas dagegen, wenn mein Nachbar mir nach einer sehr anstrengenden Arbeitswoche vorschreiben will, dass ich frühestens um 2 Uhr morgens einschlafen darf. Ich finde das nicht ganz fair. Hätte ich nicht ein kleines Kind zu Hause gehabt, hätte ich mir wohl meinen Anzug übergeworfen, und hätte mich selbst zur Party eingeladen. (Ich bin ziemlich sicher, dass das eine Anzug-Party war. Der Mann ist Notar oder Chefarzt oder irgend sowas…).

Da mir also diese Option leider nicht möglich war, habe ich das Ordnungsamt angerufen.

Leider war das Ordungsamt gerade anderweitig beschäftigt, vermutlich mussten sie gerade den Lärmpegel auf irgend einem Weinfest regeln, also bin ich bei einem diensthabenden Polizisten gelandet. Ich habe dem Polizisten erklärt, dass er sich bitte keinen Stress machen solle, aber falls mal irgendwann im Laufe der Nacht jemand frei sei, um vielleicht da vorbei zu fahren… Meinen Segen hätte die Aktion. Der gute Mann erklärte, er werde weiter versuchen, das Ordungsamt zu informieren, und falls die nicht mehr erreichbar seien, eine seiner Streifen, das könne aber dauern. Ich bin ehrlich gesagt ziemlich sicher, dass am Ende niemand vorbei kam.

Ist aber auch egal.

Allein die Tatsache, irgendwo anrufen zu können war hochgradig befriedigend. Jahrelang konnte ich Lärm nur mit „Also-in-Deutschland“-Sprüchen kontern. Jetzt, wo mir Deutschland eindrucksvoll bewiesen hat, dass diese Sprüche alle Käse waren, hatte ich wenigstens die Gelegenheit, mich bei jemandem zu beschweren, der mir tatsächlich zuhört. Tolle Sache. Ich glaube sogar, das steckt letztlich hinter dem deutschen Wutbürger: Es geht gar nicht darum, dass er wütend ist. Es geht darum, dass ihm jemand Aufmerksamkeit für seine Wut schenkt. Völlig egal, ob das die Medien sind, oder die Politik, oder eine Gruppe anderer Wutbürger – oder ein freundlicher Mann auf der Polizeidienststelle um Mitternacht.

One Response to Lärm – live!

  1. Günter says:

    Hallo, David,
    willkommen wieder in Deutschland mit seinen schönen und anstrengenden Seiten. Ich bin nach einem Intermezzo in Tadschikistan nun auch wieder zu Hause angekommen.
    Was du da in einigen Begebenheiten so plastisch schilderst, erlebe ich hier auch nahezu tagtäglich.
    Diese Thematik schreit doch förmlich danach, literarisch aufbereitet zu werden, oder? Was hältst du davon, ein solches Projekt gemeinsam anzugehen? Vielleicht hat es sich bis zu dir herumgesprochen, dass ich mittlerweile auch mein erstes Buch über Vietnam veröffentlicht habe. Unter dem Titel „ Die Psychologie des Hupens- Erfahrungen und Eindrücke eines Weltenwanderers in Hanoi“ kannst du es als E-Book bei Amazon u.a. finden.
    Ich würde dir gern ein paar Ideen und konkrete Vorschläge zu dem o.g Projekt unterbreiten, aber das sprengt den Rahmen eines Blog-Kommentares. Leider finde ich aber von dir keine aktuelle E-Mail-Adresse.
    Bitte schreibe mir doch mal kurz an guenter.lohse@gmail.com
    Viele Grüße
    Günter

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert