Wie Vietnam in chinesische Hände fiel (II)

Im ersten Teil hatten wir geklärt, wie das heutige Nordvietnam Teil eines südchinesischen Reiches unter der Führung von Zhao Tuo (vietn: Trieu Da) wurde. Zhao hatte Nordvietnam erobert, aber die Mythen und Geschichtenlage machten aus dieser Eroberung eine zwar tragische, aber legitime Episode: König An Duong hatte schließlich die magische Schildkrötenklaue verloren, sein Untergang war damit zwangsläufig. Für die vietnamesische Bevölkerung änderte sich wenig.

Auf dieser Karte kann man sehr schön die Ausmaße des Reiches sehen, dass „Nan Yue“ genannt wurde. „Nan“ steht für Süden, und Yue oder Yüe war der Sammelbegriff der Chinesen für verschiedene Stämme in dieser Region. Im Vietnamesischen wurde daraus „Nam Viet“, also grob übersetzt: „südliche Viet-Völker“. Es ist das erste Mal in der Geschichte, dass der Name „Viet“ für die Vietnamesen auftaucht. Ursprünglich nannten sich die Vietnamesen, wie im ersten Teil gezeigt, anders. Aber im Laufe der Jahrhunderte übernahmen sie offenbar den von den Chinesen geprägten Begriff für sie. Die Hauptstadt von Nan Yue lag übrigens verständlicherweise nicht im Gebiet des heutigen Vietnams, sondern weiter nördlich: Im Gebiet der heutigen südchinesischen Stadt Guangzhou, früher auch bekannt als Kanton.

Es heißt, Zhao sei schließlich 136 v.Chr. gestorben, er wäre damit 121 Jahre alt geworden. Aber mit dem Alter ist das in der asiatischen Frühgeschichte ja eh so eine Sache. Etwa zehn Jahre später starb auch sein Sohn (bei dem Alter kein Wunder), und das Reich wurde von einem Enkel namens Zhao Yingqi (vietn: Trieu Minh Vuong) übernommen.

Der Enkel hatte in seiner Jugend einige Zeit am Königshof der Han („China“) verbracht, und dort eine chinesische Frau namens Jiu geheiratet. Das war für China die Gelegenheit, ihre Fühler nach dem „abtrünnigen südliche Reich“ wieder auszustrecken. Denn nach dem Tod von Yingqi herrschte plötzlich eine chinesische Regentin mit einem noch minderjährigen Sohn über Nan Yüe.

Es heißt, die Han hätten einen ehemaligen Liebhaber von Königin Jiu als Botschafter an den Hof entsandt. Diese fiese Falle ging natürlich sofort auf, Jiu „fiel unter den Einfluss ihres alten Liebhabers“ und in Nan Yüe entbrannte ein heftiger Kampf um Einfluss zwischen einer Han-Fraktion und einer Yüe-Fraktion. Die Chinesen taten, was man in solch einem Fall als benachbarte Großmacht gerne tut: Sie entsandten „Schutztruppen“, welche die Regentin und den jungen König „beschützen“ sollten. Die Yüe-Fraktion sah das als Kriegserklärung, und griff ebenfalls zu den Waffen.

Im folgenden Bürgerkrieg kamen die Regentin, ihr Sohn und zahlreiche andere Menschen ums Leben, und für kurze Zeit kam ein Halbbruder des Königs auf den Thron. China spielte jetzt aber seinen wichtigsten Trumpf aus: Einen Mann, der auf den furchterregenden Titel „Der General, der die Wellen beruhigt“ hörte. Er schlug die letzten Yüe vernichtend. Das gesamte Reich wurde in den Besitz der Han einverleibt.

Wir schreiben das Jahr 111 vor Christus. Allgemein wird dieses Datum als jener Punkt angesehen, an dem Vietnam zur chinesischen Provinz wurde. Die Ankunft der chinesischen Offiziellen im Süden Nan Yües, also im heutigen Nordvietnam, wird allerdings in den chinesischen Quellen als äußerst friedlich bezeichnet: Die dort lebenden Fürsten sandten Unterhändler mit Wein und Vieh, und erkannten damit die neuen Herrscher an. Der Han-Hof erkannte umgekehrt die vietnamesischen Familien als Regenten an, und das war’s dann. Für die Vietnamesen änderte sich nach wie vor: nichts. Sie lebten bis auf weiteres genauso, wie sie unter „ihren“ Hung-Königen, unter dem „Eindringling“ An Duong und der südchinesischen Zhao-Dynastie.

Für die Han wiederum war Nordvietnam viel zu weit entfernt und zu „barbarisch“, um an irgend eine konkrete Form der Verwaltung zu denken. Den chinesischen Oberherrschern genügte es vorerst, die Handelsrouten im Süden zu kontrollieren: Sie errichteten keine Befestigungen und Garnisonen, sondern einfach nur Handelsstützpunkte. Denn das war es, was Nordvietnam interessant machte: Die Handelsrouten nach Indien und zur südostasiatischen Inselwelt. Perfüme, Perlen, Muscheln, Bernstein, Früchte, Nashörner, Elefanten, medizinische Pflanzen.

Für die Historiker: Im Römische Reich regiert 111 v.Chr. Gaius Marius, der zahlreiche Barbarenstämme besiegt, und bald darauf gegen Sulla in einen Bürgerkrieg schlittern wird.

Im dritten und letzten Teil der historischen Serie klären wir dann, wie aus Vietnam schrittweise eine echte, chinesische Provinz wurde, und was Frauen damit zu tun haben.

3 Responses to Wie Vietnam in chinesische Hände fiel (II)

  1. Linksaussen says:

    Ich lese diese historischen Exkurse (was schon fast eine despektierliche Bezeichnung ist) immer gerne und interessiert. Noch mehr würde ich mich über weiterführende Literatur freuen.

  2. ngungon says:

    Weiterführende Literatur auf Deutsch gibt es meines Wissens so gut wie überhaupt nicht. Das einzige halbwegs brauchbare, was ich kenne ist Band 18 der „Fischer Weltgeschichte“: „Südostasien vor der Kolonialzeit“.

    Auch auf Englisch und Französisch ist die Ausbeute für Frühgeschichte, Antike, Mittelalter in Vietnam eher mager. Am hilfreichsten finde ich bislang die „Cambridge History of Southeast Asia“, die es als Taschenbuch in einer vierteiligen Reihe gibt. Behandelt zwar ganz Südostasien, was aber auch nicht verkehrt ist, man kann die Ereignisse in Vietnam besser in den regionalen Kontext einordnen.

    Teile der Zusammenfassung DIESES Exkurses (die Zeit vor der vietnamesischen Reichsgründung) stammen von Keith Weller Taylor „The Birth of Vietnam“. Das Buch ist zwar schon etwas älter, aber der Autor hat sehr sorgfältig vietnamesische und chinesische Quellen ausgewertet, und sie jeweils auch vorgestellt. Wobei da sicherlich in den nächsten Jahrzehnten auch noch komplett neue Forschungsergebnisse möglich sind.

    Die vietnamesische Geschichtswissenschaft steckt leider noch ein wenig in den Kinderschuhen, vor allem was fundiert-kritische Quellenanalyse angeht. Außerdem sehe ich das Problem, dass es an vietnamesischen Hochschulen auch mittelfristig kaum Anreiz geben wird, bestimmte nationalhistorische Heiligtümer zu hinterfragen, wie die Entstehung des Volkes an sich, die Motive bestimmter Widerstandskämpfer (Trung-Schwestern, etc.) oder die Rolle des chinesischen Einflusses. Da es für Vietnam als kleiner Nachbar einfach wichtig ist, sich von China dezidiert abzugrenzen, scheint mir oft die Schlagrichtung der Forschung im Vorfeld bereits klar zu sein. Anders gesagt: Betrieben wird hier vor allem Nationalhistorik, mit Betonung auf „national“.

  3. Linksaussen says:

    Vielen Dank. Die Cambridge History hatte ich auch schon mal ins Auge gefasst, vermutlich auch von Dir empfohlen.

    Die nationale Ausrichtung der vietnamesischen Geschichtswissenschaft wundert mich nicht.

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