Als Vietnam beinahe China angriff

Vietnam hat im Vergleich zu China in etwa die Größe von Luxemburg zu Deutschland, und die Geschichte Vietnams ist vor allem dadurch geprägt, dass man immer wieder sehr aufmerksam in den Norden schaute, ob der große Nachbar irgendwelche Expansionsgelüste hegte (die er angesichts von kultureller Ähnlichkeit, tausendjähriger Herrschaft und einer ziemlich undurchsichtigen gemeinsamen Frühgeschichte auch noch ganz bequem rechtfertigen konnte, obwohl das mit den Rechtfertigungen bei Angriffen in früheren Jahrhunderten ja nicht immer so notwendig war wie heute.)

Personen, die China zurückschlagen oder aus dem Land vertreiben, haben in der vietnamesischen Geschichte generell per se Heldenstatus erlangt. Dazu zählen die Trung-Schwestern (40 n. Chr.) genauso wie Tran Hung Dao (13. Jh.) oder Le Loi (15. Jh.), um mal nur einige zu nennen.

Dass Vietnam gezielt plante, in China einzufallen (und nicht nur einfach in Form von Grenzscharmützeln, sondern in Form einer gezielten Invasion), ist ein echtes historisches Unikum. Der Urheber dieser Idee war der vietnamesische Kaiser Quang Trung im Jahre 1791. Er plante, eine Armee zusammen zu stellen, um sich die beiden südchinesischen Provinzen Guangxi und Guangdong notfalls mit Gewalt zu holen. Begründet wurde das mit der oben angesprochenen, ziemlich verwickelten Frühgeschichte. Kurz gesagt stammte ein frühes vietnamesisches Herrschergeschlecht aus dem heutigen Südchina, und je nach Sichtweise lässt sich daraus folgern, dass Nordvietnam entweder zu China gehört oder Südchina zu Vietnam.

Quang Trung wollte die beiden Provinzen von China zurück, und in seiner Forderung machte er ebenfalls deutlich, dass er auch vor Krieg nicht zurückschrecke.

Woher kam diese Chuzpe eines Kaisers, der gerade erst zwei Jahre zuvor (1789) den Thron bestiegen hatte? Aus genau der Zeit seiner Thronbesteigung. Quang Trung hatte den Thron erobert, in dem er ein deutlich überlegenes chinesisches Heer bei Hanoi vernichtend geschlagen hatte. (Wobei das Heer ironischerweise nur deswegen im Land war, weil der bis dahin amtierende König der Le-Dynastie es gegen Quang Trung zur Hilfe gerufen hatte). Nach diesem Sieg hatte er sich auf den Thron gesetzt und seine eigene Dynastie ausgerufen. China hatte nicht nur ihn, sondern auch seinen Sohn als Nachfolger anerkannt. Das war entweder sehr höflich, oder, in den Augen des vietnamesischen Kaisers vermutlich: ein Zeichen von Furcht.

Es gibt zwei Möglichkeiten, warum nur zwei Jahre später der scheinbar unverfrorene Plan entworfen wurde: Entweder war Quang Trung tatsächlich überzeugt, die Chinesen hätten Angst vor ihm. (Er war ganz ohne Zweifel ein sehr talentierter General, hatte sich seinen Sieg allerdings auch durch eine List erkauft, und die Chinesen während der Feiern zum Neujahr angegriffen). Oder er spürte, das seine Reputation und Macht eng verknüpft waren mit militärischem Erfolg. Um genau zu sein hatte Quang Trung in der Zeit vor seiner Thronbesteitung mehrere Jahrzehnte nichts anderes getan, als Krieg zu führen. Damals noch unter dem Namen Nguyen Hue war er der wichtigste General seines Bruders Nguyen Nhac, der als Anführer einer Aufstandsarmee erst den Süden eroberte, dann den Norden.

Möglicherweise fürchtete der neue Kaiser, ohne weitere militärische Erfolge verlöre er an Ansehen. Vielleicht langweilte er sich auch einfach nur, so ganz ohne Schlachtensiege. Kurz vorher war er mit einer vietnamesischen Armee in Laos eingefallen, aber das war im Vergleich zu China natürlich keine echte Herausforderung.

Die vietnamesische Armee begann 1791/92 damit, Kriegsdschunken zu bauen, auf denen Kriegselefanten bis zur chinesischen Stadt Kanton transportiert werden sollten. Zur gleichen Zeit setzte sich die Delegation in den Weg, die dem chinesischen Kaiser die vietnamesischen Forderungen überbringen sollte.

Dann starb Quang Trung 1792, im Alter von 40 Jahren.

Die vietnamesische Delegation kehrte daraufhin sofort wieder um. Sein junger Sohn und Nachfolger begrub die Invasionspläne. Wie China auf die Forderungen reagiert hätte, bleibt bis heute ein Rätsel.

3 Responses to Als Vietnam beinahe China angriff

  1. spatz says:

    Ha, hier wird die Vietnamesische Geschichte neu geschrieben.LoL.

    Quang Trung ist nicht wegen der Rückforderung des Territoriums in Südchina bekannt, in dem Viet-Minderheiten gelebt haben und einige von ihnen bis heute immer noch da sind, sondern er ist bekannt wegen der von ihm erkämpften Vereinigung vom Nord- und Südvietnam.
    Die Wahrheit einer Geschichte zu verstehen ist wie der Versuch den Inhalt eines Zeitungartikels herrauszufinden.
    Liest man nur oberflächlich oder zitiert Zeilen ohne Zusammenhang aus verschiedenen Kontext, kann man daneben liegen und das eigentliche Know-how nicht für sich gewinnen.

  2. ngungon says:

    Ich will sicherlich nicht die vietnamesische Geschichte neu schreiben.

    Ich suche mir nur interessante Details heraus, und stelle sie vor. Über den Tây-Son-Aufstand in seiner Breite und gesamten Bedeutung zu berichten, würde ein Blog-Eintrag nicht ausreichen.

  3. Martin says:

    Endlich hab ichs mal wieder hierher geschafft und lese gleich was interessantes :-) Schön!
    Und lieber Spatz, mit einem Blog-Eintrag scheint es dann ähnlich zu sein wie mit der von dir zitierten Geschichte…Liest man nur oberflächlich ….:-)

    Ich konnte jedenfalls nicht feststellen, dass der Autor inhaltlich daneben liegt. Vielleicht jedoch den Fokus auf andere Details gerichtet hat als du es erwartet hast.
    Aber danke für deinen Kommentar, dadurch habe ich jetzt noch mehr gelernt.

    Viele Grüße!

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