Gedrängel

Als Journalist muss man ja manchmal ein klein wenig unfreundlich sein. Beispielsweise, wenn es darum geht, ein Ereignis zu fotografieren. Dann steht man meistens in der ersten Reihe, und damit zwangsläufig vor irgend jemandem. Oder, bei der Mikrofonaufnahme einer Theateraufführung in einer Schule. Dann kann der Journalist eventuell die Zuschauer irritieren, weil er vorne an der Bühne herumläuft.

Ich selbst habe das immer in der Vergangenheit in Deutschland immer mit zwei Regeln gehalten: Wenn du stören musst, dann störe. Aber mach es so kurz wie möglich. Und vielleicht auch so störungslos, wie möglich. Ducken zum Beispiel macht das Foto nicht schlechter. Einerseits wollen schließlich die Leser/Hörer am nächsten Tag etwas wissen, andererseits haben die Anwesenden für den Empfang oder die Aufführung oder was auch immer da zu berichten ist gezahlt, bzw. sind extra eingeladen worden. Am besten ist natürlich, wenn der Veranstalter sich dieses Spagats bewusst ist, und sich schon selbst vorher Gedanken gemacht hat, indem er beispielsweise die erste Reihe für die Presse freihält, und die Stellen vor irgend welchen Säulen den Kameramännern zuweist.

In Vietnam fällt mir immer wieder auf, dass es solche Überlegungen nicht gibt. Weder von den Veranstaltern, noch von den Journalisten.
Vergangene Woche war große Feierstunde im Radiosender. Der Auslandskanal VOV5 hatte ein Preisausschreiben veranstaltet unter dem Motto „Was wissen Sie über Vietnam?“, und wollte Antworten von den Hörern (ziemlich lange Antworten, um genau zu sein. Irgend jemand, der wenig von Preisausschreiben versteht, hatte die Fragen so offen formuliert, dass die meisten Zuschriften seitenweise Abhandlungen umfassten, die wiederum von den jeweiligen Fremdsprachenredaktionen noch ins Vietnamesische übersetzt werden mussten, damit diejenigen, die sich die ganze Sache ausgedacht hatten, überhaupt verstehen konnten, was die Zuhörer da so geschrieben haben). Jetzt gab’s die Preisverleihung an die drei besten Einsendungen.

Nach den üblichen Reden kam es zum Moment der Preisübergabe (eigentlich war der Preis die Reise nach Vietnam, der Preis war also schon übergeben, aber es wurde noch einmal offiziell gefeiert). Sofort stürmten ein Dutzend anwesende Journalisten mit dicken Foto- und Fernsehkameras nach vorne und blockierten so geschickt jeden Platz, dass ab der dritten Reihe nichts mehr zu sehen war, außer dem Rücken der Journalisten. Hinzu kamen noch die obligatorischen Leute mit ihren Mini-Kameras, die offenbar der Meinung waren, sie müssten diesen Moment jetzt bei schlechtem Licht und mit schlechtem Blitz für die Nachwelt festhalten.

Nun war die Preisübergabe nicht sonderlich spektakulär, insofern könnte man sagen, es ist egal. Genau dasselbe passiert aber oft hier. Es gehört sozusagen schon irgendwie dazu. Viel zu viele Journalisten in Vietnam kümmern sich generell nicht sonderlich darum, ob sie jemand anderen stören. (Dann wiederum könnte man sagen, dass im Alltag viele Bürger sich nicht sehr darum kümmern, ob sie gerade jemand anderen stören.) Wer in die Hanoier Oper geht und im Parterre sitzt, der muss schon mal damit rechnen, dass sich direkt vor ihm ein Kameramann aufbaut, und laut klackernd das Stativ zurechtrückt. In der Oper.

Wenn ein Radiojournalist gemeinsam mit einem Fotojournalist loszieht, dann ist auf der Tonbandaufnahme später auf jeden Fall das laute Geklacker der Blende des Fotoapparats zu hören, weil der Fotografierende gar nicht eine Sekunde darüber nachdenkt, dass er gerade möglicherweise die Geräuschkulisse verhunzt. Einmal war es sogar so, dass der Fotograf nach Abschluss seiner Tätigkeit sich laut pfeifend neben das Interview stellte und dabei die Fingernägel säuberte. Die Fingernägel waren dabei übrigens nicht das Problem, die hört man nämlich nicht.

Was jetzt wirklich da vorne auf der Bühne geschehen ist, wird deshalb auf immer ein Geheimnis bleiben. Dafür weiß ich immerhin, wie viele Vietnamesen heutzutage teure Canon- und Nikon-Fotokameras besitzen. Und dass es offenbar drei Kameramänner benötigt, um eine Preisübergabe abzufilmen.

One Response to Gedrängel

  1. m says:

    Dazu kann ich ein Beispiel aus der vietnamesischen Community aus Berlin beitragen:
    Ich habe mal über eine Saalveranstaltung berichtet.
    Es gab drei Sitzkategorien:
    Erste Kategorie: VIP. Hier saßen die Veranstalter, die Diplomaten und die Sponsoren.
    Zweite Kategorie: Die teuren Plätze. Hier wurden auch die Journalisten platziert.
    Dritte Kategorie: Die billigen Plätze.
    Eine Security wachte ständig darüber, dass sich die Gäste der verschiedenen Kategorien nicht miteinander vermischten. Nun müssen Journalisten aber Fragen stellen. Und sei es nur nach der korrekten Schreibweise des Menschen, der da gerade auf der Bühne steht. Beantworten konnte die Fragen nur der Veranstalter. Da Journalisten und Veranstalter in verschiedenen Sitzkategorien saßen und die Security niemanden durchließ, litt die Korrektheit eines Berichtes enorm. Ganz schlimm waren die Fotografen und Kameramänner dran: Die konnten die Bühne nur aufs Bild bannen, wo gleichzeitig der Hinterkopf der VIP-Gäste drauf war.
    Die vietnamesischen Journalisten von VTV4 hatten das Problem übrigens nicht: Sie hatten VIP-Karten bekommen. Aber die deutschen Medien waren offenbar nicht VIP-würdig. Oder man fürchtete, irgendjemand könnte einem Diplomaten was böses tun.
    Ich gehe davon aus, dass von den deutschen Journalisten, Fotografen und Kameraleuten nie wieder jemand zu so einer Veranstaltung kommt. Denn man will ja seine Leser und Zuschauer nicht veräppeln.

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