Verspäteter Reis

Ich habe lange Zeit allen Leuten immer erklärt, der Reis kommt in vietnamesischen Restaurants so spät, weil Reis für die Vietnamesen eine Art anschließender Sattmacher sei. Im Gegensatz zur landläufigen Vorstellung esse man hier eben nicht haufenweise Reis, sondern der Reis diene mehr als Basis für das eigentliche Essen.

Das stimmt auch. Teilweise. Wenn im Familienkreis Reis serviert wird, hält man sich meistens zurück, nippt nur ein paar Löffel daran, und schlägt erst dann noch einmal richtig mit zwei bis drei Schüsseln Reis zu, wenn die Hauptgänge verschwunden sind, oder man selbst sich schon relativ satt fühlt.

In vielen vietnamesischen Restaurants geht der fehlende Reis aber weit darüber hinaus: Dort ist es so, dass man zwanzig Minuten immer wieder laut nach dem Reis rufen muss – und erst dann kommt er. Anfangs habe ich das (wie auch vietnamesische Freunde) auf den leider viel zu häufig schlechten Service geschoben. Mittlerweile habe ich einen anderen Verdacht: Der verspätete Reis ist Teil des Spiels.

Uns fiel auf, dass man in vielen vietnamesischen Restaurants von Anfang an um Reis betteln, flehen, fluchen oder auf den Tisch hauen kann – es ändert sich nichts. Es können zwei oder drei Gruppen von Gästen gleichzeitig und unabhängig voneinander energisch nach Reis fragen – es ändert sich nichts. Der Reis erscheint dann ziemlich genau 20 Minuten nach Aufgabe der Bestellung – wenn alles andere schon auf dem Tisch steht. Nun erzähle mir niemand, es dauert länger, einmal kräftig in den Reiskochtopf zu langen, als Muscheln mit Kürbis zu kochen, oder Fleischsuppe oder gegrilltes Rind.

Einzige Erklärung: Der Reis kommt mit Absicht zu spät. Am Wochenende konnte ich beobachten, wie anstelle der lächelnden Serviererin, die seit 15 Minuten erklärte „Jawohl, der Reis kommt gleich“ (und dann erstmal mehrere Minuten verschwand), plötzlich ein völlig anderer, offenbar höhergestellter Angestellter auf der Bildfläche erschien, zum Telefon griff, und der Küche sagte: „Ihr könnt jetzt den Reis bringen.“ Offenbar, so schien es, waren die Serviererinnen überhaupt nicht befugt, den Reis zu servieren. Da konnte man bitten, betteln, fluchen oder rufen wie man wollte.

Meine einzige Erklärung ist, dass die Restaurant-Besitzer der Meinung sind, Reis stopft, und wer den Reis zu früh serviert, der verliert wertvolles Geld, weil die Gäste sich dann mit Reis den Magen vollschlagen, und nicht mit dem Rind, den Muscheln oder den Hühnchen. Also ähnlich wie deutsche Wirte gerne mal ihre Speisen etwas mehr salzen als nötig, damit der Gast viel trinkt.

Das wäre ja auch prinzipiell gar nicht so falsch, und meinetwegen können es Restaurant-Chefs auch gerne versuchen, aber es wird dort nervig, wo es offensichtlich wird, und ständiges Nachfragen absichtlich ignoriert wird. Da schlägt dann nämlich Wirts-Schläue in geschäftsschädigende Abzocke um. Darf ich bitte noch selbst bestimmen, ob bestimmte Gerichte mit Reisbeilage besser schmecken?

Da sich allerdings derzeit sehr, sehr viele Restaurant-Besitzer so zu verhalten scheinen, wird es wohl lange dauern, bis sich daran etwas ändert: Warum eine (vermeintlich) geldbringende Strategie ändern, wenn die Konkurrenz das überall genauso macht?

5 Responses to Verspäteter Reis

  1. fl says:

    Bei allen Geschäftsessen, Einladungen etc. war das bei mir auch immer so, dass der Reis erst zum Schluss kommt. Allerdings hat auch von den vietnamesischen Gästen nie jemand vorher nach Reis verlangt.

  2. ngungon says:

    Ja, wie gesagt: Es ist auch nicht unüblich, dass die Vietnamesen den Reis später essen. Auch weil sie selbst vielleicht glauben, sie wollen sich nicht zu früh zu satt essen. Deswegen habe ich mir lange Zeit auch nichts dabei gedacht.

    In letzter Zeit ist mir aber immer öfter die Situation aufgefallen, dass Vietnamesen explizit gefragt haben, und auf beschwichtigendes „Ja, kommt gleich“ – gar nichts kam.

  3. cris says:

    Generell wird sehr „gewöhnungsbedürftig“ serviert. Manchmal habe ich alles auf einmal auf dem Tisch, in anderen Restaurants kommen die Vorspeisen am Ende usw. Gerade wenn ich mal ohne Vietnamesen unterwegs bin ist das anstrengend. Ich bestell dann lieber „Bo luc lac“ oder ein anderes Allerweltsgericht, was auf einen Teller passt.
    Bei meinen vietnamesischen Freunden kann die Essensbestellung schon mal ein paar Minuten dauern, es wird dem Kellner genau (und ziemlich herrisch) erklärt was man denn nun essen möchte. In vielen Fällen sind das Sachen, nicht oder in anderer Form auf der Karte stehen. Wenn dann am Ende etwas nicht stimmt wird die Bedienung lautstark an den Tisch bestellt und bekommt nochmals gesagt was nun wieder nicht stimmt.
    In diesen Situationen denke ich oft an die Bedienungen in Restaurants in der Heimat. :)

  4. yeuem says:

    c?m kommt nicht direkt, ist echt komisch
    das ist das einfach ein Fehler in der Bestellung
    Bestellung heißt Anweisung an das Personal
    Ich bin wohl der Gast

    wenn ich bestelle
    dann dauert das auch immer 10 Minuten
    und vorher hab 10 Minuten den Laden angesehen
    OB ich dort überhaupt esse
    ODER besser nicht doch nebenan

    Wenn der Reis nicht nach 5 Minuten auf dem Tisch ist
    dann geht die einfache Tour
    nicht anfangen zu essen
    einfach aufstehen
    nicht bezahlen

    Am nächsten Tag
    weiß dann das Personal
    zuerst möchte ich ein kühles Bia Hoi
    dann mein Reis
    dann …
    mehr

  5. spatz says:

    frag einfach mal die Männer nach dem Zauberwort „nh?u“ oder „nh?m r??u“, dann bekommst du die Erkärung für dieses „merkwürdige“ Verhalten. Oder spätestens beim Besuch eines guten Freundes in seinem Privathaus (angenommen du wirst zum Essen eingeladen), da passiert wohl das gleiche.

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