Potemkinsche Frauen

Er war also da. Der Premierminister. Und ich auch. Dazu vorweg noch zwei Anmerkungen: 1.) Morgens um halb sieben sind die Straßen in Hanoi geradezu unglaublich leer, obwohl die Vietnamesen eigentlich Frühaufsteher sind, und schon um fünf Uhr durch die Parks spazieren und Yoga machen. 2.) Irgend jemand hatte möglichst viele Kollegen noch am Vorabend informiert, dass der Besuch des Premiers sich um eine halbe Stunde verzögert. Da offenbar niemand damit gerechnet hatte, dass ich tatsächlich komme, bezog das mich nicht mit ein.

Ich war also um zehn vor sieben im Büro, und der Premierminister um zehn nach acht.

Premierminister Nguyen Tan Dung (letzteres spricht sich „Sung“ aus, mit stimmhaftem „S“, weil im Vietnamesischen das „D“ wie ein „S“ ausgesprochen wird) ist bei den Vietnamesen sehr beliebt. Unter anderem deswegen, weil sie der Meinung sind, den bestaussehendsten Premier Asiens, wenn nicht sogar der ganzen Welt zu haben. In der Tat ist der Mann ein relativ junges Gesicht, das einigen frischen Wind in die Politik gebracht zu haben scheint. Viel mehr lässt sich zu seiner Politik gar nicht sagen, weil es in Vietnam ohnehin schwierig ist, zu erkennen, von wem welche Politik stammt.
Jedenfalls war er da. (Um mal zum Punkt zu kommen.) Die ganze Sache lief erstaunlich unspektakulär ab. Keine größeren Polizeikolonnen, ein paar abgedunkelte Wagen. Noch nicht mal eine Flagge an der Kühlerhaube. Der gute Mann stieg aus, und zwei langgezogene Reihen vietnamesischer Mitarbeiterinnen im traditionellen Kleid, dem Ao Dai (genau, sehr gut aufgepasst, das spricht man „Ao Sai“), standen am Eingang und klatschten. Dazwischen auch ein paar Männer. Darunter auch ein Europäer. Ich hab auch geklatscht und er hat gelächelt und zurückgewunken.

Anschließend läuft die gesamte Gruppe wie die Gemeinde nach einer Messe dem Pfarrer hinterher. Nur läuft der Premier den großen Gang entlang, während die Frauen (Und Männer. Und der Europäer.) über schmale Treppen direkt in den zweiten Stock laufen, um dort wieder ein Spalier zu bilden und abermals zu klatschen. Das wiederholte sich noch ein weiteres Mal.

Auf deutsch: Dem Premier muss es so vorgekommen sein, als stünde das ganze Haus voller hübscher Frauen. In Wirklichkeit waren es immer dieselben.

Möglicherweise war es ihm aber auch sehr wohl bewusst. Wenn sich eine Berufsgruppe mit Inszenierungen auskennt, dann sind es ja Politiker.

Zwei Anmerkungen zum Abschluss.

1.) Kein deutscher Politiker, der noch ganz bei Trost wäre, würde morgens um acht in einer deutschen Redaktion auftauchen. Weil vermutlich kein einziger Journalist da wäre. Andererseits laufen deutsche Journalisten auch nicht morgens um fünf durch Parks und machen Yoga-Übungen.

2.) Der Premier erklärte in seiner Rede, das Radio habe viel zum Aufbau und zur Gestaltung des Landes beigetragen. Außerdem solle es weiterhin die Politik und vor allem die Beschlüsse des 10. Parteitags unterstützen. Der letzte Satz ist ein ebenfalls sehr beliebter Satzbaustein, den ich in meiner gestern vorausgesagten Rede vergessen habe.

Was unterstreicht, dass ich wohl doch nicht zum Redenschreiber tauche.

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