Warum das Breve wichtig ist

Ich habe zu meinem Bedauern und Ärgernis festgestellt, dass WordPress einige Sonderzeichen nicht korrekt widergibt, sondern immer in „?“ umwandelt. Bis ich dafür eine Lösung gefunden habe, muss ich in punkto vietnamesischer Sprache leider über etwas reden, was ich nur unzureichend demonstrieren kann.

Heute reden wir über das Breve.

Einen Begriff, den ich zugegebenermaßen erst heute gelernt habe. Es gibt ja allerlei Dinge im Deutschen, bei denen weiß jeder, was gemeint ist, aber niemand weiß genau, ob es dafür eigentlich einen Begriff gibt. Der berühmte Warentrenner an der Einkaufkasse wäre das klassische Beispiel.

In diesem Fall geht es um ein Sonderzeichen, das aussieht wie ein kleiner, offener Bogen über einem Vokal. Wer noch Menschen kennt, die Sütterlin beherrschen: Im Grunde nichts anderes als das kleine Zeichen, mit dem man das „u“ vom „n“ unterscheidet.

Das Breve kokmmt offenbar in besonders vielen kyrillischen Sprachen vor, aber auch im Türkischen und Rumänischen. Sagt zumindest Wikipedia, ich gebe zu, ich kann kein Rumänisch.

Das Breve kommt aber auch in der vietnamesischen Sprache vor. Und hier ist das Sonderzeichen wohlgemerkt keiner der berühmten fünf Akzente, die die Tonhöhe eines Vokals verändern, sondern es verändert die Aussprache des Vokals selbst. Man kann also ein Breve zusätzlich noch mit einem der Tonhöhen-Zeichen kombinieren. Um das zu erklären, bringen wir kurz ein anderes Zeichen ins Spiel, das den meisten Deutschen bekannt sein dürfte: Das Zirkumflex, das berühmte „Dach“ auf einem Vokal, das im Französischen sehr häufig verwendet wird.

(Und an dieser Stelle ein kurzer Hinweis: Usprünglich war ich davon ausgegangen, dass wir es hier mit zwei fast identischen Zeichen zu tun haben, nur einmal eben nach oben offen oder nach unten offen. Deswegen wurde das Breve hier auch zunächst fälschlicherweise als Hatschek bezeichnet, das ist ein nach oben offenes „Dach“. Erst im Zuge dieses Artikels ist mir aufgefallen, dass das gar nicht stimmt. An dieser Stelle noch einmal Danke an den Kommentar von Thanh, siehe unten. Jedenfalls: Das Zirkumflex ist spitz, das Breve ist rund. Das hat mich, ehrlich gesagt, komplett verblüfft. Warum verwendet man nicht einfach zwei runde, geschwungene Zeichen oder zwei spitze Zeichen? )

Ein Ô mit einem Zirkumflex, spricht sich aus wie „O“. Wie das deutsche O. Bô zum Beispiel ist im Vietnamesischen der Vater, und wird dementsprechend: „Bo“ gesprochen. Hingegen wird das normal geschriebene O dummerweise anders ausgesprochen, nämlich mit einem Laut den es streng genommen im Deutschen nicht gibt, und der sich am ehesten mit dem Englischen „aw“ vergleichen lässt, eventuell auch mit einem tief gesprochenen, kehligen „ah“. Für Deutsche klingt dieses O also so überhaupt gar nicht wie ein O, sondern eher wie ein A. „Bo“ (also „baw/bah“) ist im Vietnamesischen das Rind. (Inlusive eines Tonhöhen-Zeichens, das ich an dieser Stelle weglasse, weil es sonst zu verwirrend wird, und weil, siehe oben, WordPress es eh nicht anzeigen würde.) Es kann also für den Familienfrieden sehr entscheidend sein, dass man „bo“ und „bah/baw“ auseinanderhalten kann.

So ähnlich ist es auch mit dem Breve.

Das Breve verkürzt einen Vokal. Die Deutschen kennen diesen Effekt auch, aber sie schreiben ihn anders: Sie benutzen doppelte Konsonanten. Wer sich genau beim Sprechen zuhört, wird bemerken, dass er bei der Aussprache von „So“ und „Sonne“ eigentlich streng genommen zwei unterschiedliche Vokale benutzt. Ein langes O und ein kurzes O. Man merkt das dann am Besten, wenn man mal versucht, „Sonne“ zu sagen, und vor dem „nne“ einfach stoppt.

Vietnamesen haben mit der Aussprache von langem O, kurzem O oder langem A und kurzem A oder auch E oft Schwierigkeiten, weil sie erst lernen müssen, dass ein im Deutschen immer gleich geschriebener Vokal plötzlich unterschiedlich ausgesprochen werden kann. Sie sagen dann zum Beispiel für „ergeben“ etwas, das so klingt wie „ärgäbben“, anstelle von, wie der Deutsche sagen würde: „ärgeeben“.

Umgekehrt haben Deutsche dafür Schwierigkeiten, sich die ganzen blöden Zeichen zu merken und ihre Aussprache zu üben, obwohl diese zumindest den Vorteil haben, dass sie immer gleich ausgesprochen werden.

Warum ist jetzt also das Breve so wichtig? Weil man völlig unnötig Menschen schockieren kann, wenn man es nicht korrekt ausspricht.

Das geht folgendermaßen: Man erzählt zum Beispiel einem Vietnamesen diese Geschichte hier auf Vietnamesisch. Man schildert ausführlich, wie die Kakerlake im Schuh saß, und ereifert sich dann darüber, dass es viel zu viele Kakerlaken in Hanoi gibt, und dass sie sogar außen an den Hauswänden bis in den elften Stock krabbeln.

Anschließend ist man beruhigt, dass das Gegenüber einen dankbar schockierten und erschrockenen Gesichtsausdruck zeigt, der sich erst bei der Erwähnung des Begriffs „Beine“ in einen fragenden, zweifelnden Gesichtsausdruck verwandelt.

„Die Tiere haben doch keine Beine?“, fragt dann der Vietnamese stirnrunzelnd.

Am Ende stellt sich heraus: Ich habe, ohne es zu wissen, eine völlig andere Geschichte erzählt. Die Kakerlake ist auf Vietnamesisch „con gián“. Wir ignorieren jetzt die Tatsache, dass „gi“ ausgeprochen wird wie ein stimmhaftes S und schauen nur auf das A. Es ist ein ganz normales A ohne Hatschek und wird deshalb lang ausgesprochen: „Con Saan“.

Der trottelige Deutsche sprach hingegen die ganze Zeit von „Con Sann“. Das ist, im Vietnamesischen geschrieben „con rán“ (mit Breve, das ich hier nicht wiedergeben kann) und heißt nichts anderes als die Schlange. Wir ignorieren an dieser Stelle abermals, das in Nordvietnam auch das „r“ wie ein stimmhaftes S ausgesprochen wird. (Im Süden hätte die Verwechslung nicht so ohne weiteres funktioniert).

Der Gesprächspartner war also angemessen schockiert, dass bei mir eine Schlange im Schuh saß, die mir dann das Bein hochkroch, und dass ich ohnehin in Hanoi ständig auf Schlangen treffen würde, die sogar an Häuserwänden entlangschlängeln.

Als sich dann aufklärte, dass es keine Schlange war, sondern nur eine Kakerlake war das Gegenüber leider deutlich weniger beeindruckt. „Achso? Kakerlake? Naja… sowas passiert halt…“.

4 Responses to Warum das Breve wichtig ist

  1. Gaby says:

    Der Anfang ist etwas kompliziert, dafür der Schluss umso witziger! :-)

  2. spatz says:

    Ha, eine Schlange im Schuh:). Meine Freunde und ich haben eine Schlange im Wald entdeckt und wir betrachten sie wie eine Weltwunder. Klar, Schlangen sieht man in Deutschland sehr selten. Ich bin dafür sehr dankbar, weil ich jetzt lerne, für die Schlange und die Natur mehr Aufmerksamkeit zu schenken.
    Ich probiere es mal mit der vietnamesischen Tastatur:
    Con gián und Con r?n, tatsächlich klingt es fast ähnlich. Nur, die Kakerlake hat einen längeren aa als die Schlange. (Im deutschen hat sie auch mehr a:))

  3. Thanh says:

    Hallo, ich muss darauf hinweisen, dass das im Artikel beschriebene Zeichen nicht das „Hatschek“ ist, sondern die sogenannte „Breve“. Es mag zwar ein kleiner, feiner Unterschied sein, aber das „Hatschek“ hat eine Ecke am unteren Ende, die „Breve“ ist aber geschwungen und dies ist genau das Zusatzzeichen welches im Vietnamesischen Verwendung findet. Ich bitte um Korrektur dieses minimalen Fehlers. Danke und schönen Gruß :)

  4. ngungon says:

    Danke für den Hinweis.

    Ich werd den Artikel dann entsprechend anpassen.

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