Erste Worte

In Deutschland lauten die ersten Worte eines Kindes bekanntlich „Mama“ oder (seltener) „Papa“ oder vielleicht auch mal „Da!“, „Muh!“ oder „Mäh!“. Es dürfte fast ausgeschlossen sein, dass die ersten Worte eines deutschen Kindes lauten: „Wessen Haus ist das?“

In Vietnam ist das etwas anders. Das liegt daran, dass Vietnamesisch zwar keine einfachere Sprache ist, als Deutsch, aber Sprache aus einsilbigen Worten besteht. Einsilbige Worte sind im Deutschen in der Unterzahl.

Dieser Text hat bis hierhin zum Beispiel nur folgende einsilbige Worte: In, die, auch, mal, es, fast, sein, dass/das, zwar, ist, als, aus, sind, im, der, hat, bis, zum, nur.

Davon fallen gleich eine ganze Reihe als mögliche erste Kinderworte weg, weil sie komplizierte Konsonanten-Akrobatik mit der Zunge erfordern („zwar“, „fast“). Das „z“ besteht streng genommen sogar aus zwei Konsonanten, denn wer ein „z“ sprechen will, muss mit seiner Zunge erst die Bewegung für „t“ und dann für „s“ machen. Wie schwierig es ist, einen Konsonanten an einen anderen zu reihen (und jetzt alle nochmal ganz langsam: „tssswww!“ und „ssst“), merkt als Deutscher, wer Vietnamesen solche Kombinationen beibringen möchte. Oder man kann es auch an sich selbst erfahren, sobald man mal versucht, eine ungewöhnliche Konsonantekombination auszusprechen. Deswegen scheitern auch Deutsche immer reihenweise an der flüssigen Aussprache von „Nguyen“ (oder auch von „Ngu ngon“).

Das Vietnamesische besteht also grundlegend aus einfach zu bildenderen Worten (auch wenn Massen von vietnamesischlernenden Deutschen jetzt protestierend aufjaulen werden), deswegen ist auch die Gruppe sinnvoll auszusprechender Erstwörter für Kleinkinder größer. („In“ und „zum“ sind ja keine Wörter, für die wir ein Baby loben würden, weil sie für sich alleine keinen Sinn ergeben.)

Meine Tochter sagte heute morgen also, mit nur zweieinhalb Monaten: „Wessen Haus ist das?“, beziehungsweise sie sagte: „Nha ai?“ („Nha“ = Haus, „ai“ = wer/wessen).

Mir ist freilich bewusst, dass das nicht wirklich ihre ersten Worte sind, denn sie wird denn Sinn ihrer eigenen Frage kaum verstanden haben, noch gehe ich davon aus, dass sie ernsthaft an der Antwort interessiert ist.

Am Ende siegt nämlich auch in Vietnam das Wort „Mama“ (= Me, bzw. in der detschen Lautsprache: „Mä“) als häufigstes erstgesprochenes Wort. Schlicht und ergreifend, weil es für Kinder eines der wichtigsten Wörter ist.

Jedenfalls deutlich wichtiger, als die Frage, in wessen Haus es gerade wohnt.

2 Responses to Erste Worte

  1. Heike says:

    ja, sowas passiert bei Babies von Journalisten! Unterschätze die Leistungen deiner Tochter nicht…
    Das mit den komplizierten Lauten hast du sehr gut beschrieben. Seit Wochen übe ich mit meinem Deutschkurs den Laut ch, zum Bsp. in nach oder reich. Bislang ohne größeren Erfolg, so dass ich jetzt erst mal auch ein hartes g als Zwischenergebnis akzeptiere. Unsere Maid heißt Ngo, drei einfache Buchstaben und wenn ich sie mit Namen anspreche, schaut sich mich gar nicht an, woran das wohl liegen mag? Ich habe aber auch erst 6 Wochen geübt.
    Herzliche Grüße an das kleine Sprachgenie

  2. Interessant, hier sofort noch andere mir vertraute Themen zu finden. Ich lebe mit meiner Familie in Mexiko und wir haben 2 Kinder. Der Kleine wird bald 5 und spricht bisher gar kein Wort. Weder auf Deutsch noch auf Spanisch. Ursache ist aber nicht irgendeine (fremd-)sprachliche Konfusion, sondern eine Begleiterscheinung. In „Fachkreisen“ als Extrachromosom bezeichnet. Maximilian nimmt sich eben einfach seine Zeit.

    Sein großer Bruder (8) hingegen hat es verpasst, von klein auf Deutsch mal so nebenbei mitzunehmen (oder hat sein Papi es verpasst, einfach mal so mitzugeben?). Ein sehr komplexes Thema, zu dem ich über ganz viel Meinung verfüge. ;-)

    Aber ich muss jetzt zurück zu den Taifunen.

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