Die chinesische traditionelle Medizin hat mich bislang eher als Folklore interessiert. Mir ist zwar völlig klar, dass selbstverständlich Kräuter und andere Gewächse heilende Wirkung haben können, und auch viel moderne Medizin letztlich auf denselben Stoffen basiert. Aber wenn kluge Köpfe ich Gedanken darüber gemacht haben, wie man diese Stoffe exzerpiert und verarbeitet, warum sollte ich dann anfangen, selbst Kräutermischunge anzurühren?
Nun habe ich heute einen Chinesen getroffen, der meine Vorurteile sowohl bestätigt, als auch widerlegt hat. Er rührt seine altchinesische Medizin selbst an. Er ist etwa Anfang 30 und ein international tätiger Geschäftsmann im Bereich Consulting und Messeplanung. Also nicht ganz das Klischee-Bild vom Mann, der traditionelle Medizin pflegt. Als ich ihn heute besuchte, war er gerade dabei, Ingwer gegen die Magenschmerzen seiner Freundin zu kochen. Den Ingwer zu kochen dauerte zwei Stunden. Schneller durfte der Ingwer nicht kochen, weil sonst die entscheidenden Inhaltsstoffe verloren gegangen wären.
Traditionelle Chinesische Medizin braucht viel Geduld.
Der junge Mann mischt auch ansonsten seine Zutaten selbst zusammen, und kauft sie dafür gezielt ein. Da er das schon jahrelang so macht, hat er Erfahrung. Er sagt, er könne von einer bestimmten Sorte Blatt beispielsweise beim Einkaufen riechen, ob sie (wie gefordert) sechs Wochen in der Sonne getrocknet wurde, oder nur zwei Wochen. Also minderwertig ist. Erst recht könne er riechen, ob die Trocknung mit künstlichen Zusatzstoffen erreicht wurde, was in der Vergangenheit ein paar Mal für Skandale in Vietnam gesorgt hat. (Verständlicherweise will niemand künstliche Zusatzstoffe in seiner traditionellen Medizin haben.)
Spätestens seit heute glaube ich also etwas mehr an Traditionelle Chinesische Medizin. Allerdings ist eines gleich geblieben: Ich weiß, dass ich selbst keine Kräutermischungen anrühren werde.
Ich könnte nämlich nicht erkennen, ob Blätter zwei Monate, sechs Monate oder mit Zusatzstoffen getrocknet wurden.
