Die Crux der Klassik in Vietnam

Vietnam hat ein Problem mit Blechbläsern. Zu wenig gute Bläser hat das Land. „Es gibt keine Tradition in Vietnam, Trompete zu spielen, mit Ausnahme von Armee-Musikern. Aber Militärmusik ist etwas völlig anderes, als Orchestermusik.“ Sagt Graham Sutcliffe.

Sutcliffe ist ein Brite, der mittlerweile seit fast 20 Jahren in Vietnam lebt. Er hat eine Zeit lang das nationale Sinfonie-Orchester dirigiert, und leitet aktuell das Opern-Ensemble von Hanoi. Allein das ist eigentlich schon eine Nachricht. Wenn ein Ausländer sich in der vietnamesischen Klassik-Szene auskennt, dann wohl er. Im Dezember hat die englischsprachige Wochenzeitung Thanh Nien Weekly ein Interview mit Sutcliffe geführt. Darin kamen unter anderem so interessante Sätze wie der eingangs zitierte heraus.

Der erfahrene Dirigent äußert sich unter anderem unzufrieden über den Stand der klassischen Musik im Land. Seiner Beobachtung nach seien viele Vietnamesen nämlich durchaus an Klassik interessiert – aber es werde kaum Werbung für besondere Sinfoniekonzerte oder Opern gemacht. Und oft werden die Karten dann verschenkt (an Sponsoren, Politiker, Schulklassen), und nicht verkauft. Das Resultat kann jeder selbst sehen, der schon einmal in der Hanoier Oper war: Während sich viele Ausländer zwar im Vorfeld um die Karten reißen, bleiben immer wieder trotzdem Sitze leer, viele Gäste kommen zu spät oder gehen nach der ersten Hälfte. Nicht, weil es ihnen nicht gefällt, sondern weil sie nicht damit gerechnet haben, dass es so lange dauert. Und man will nicht so spät zu Hause bei der Familie sein. (Das zumindest habe ich oft als Erklärung von vietnamesischen Bekannten gehört.)

Da wiederum vietnamesische Orchester-Musiker nicht besonders viel verdienen, ist bei einigen auch die Arbeitsmotivation deutlich geringer. Man müsse dreimal so häufig proben wie mit einem vergleichbaren britischen Orchester, weil immer wieder jemand die Probe schwänze, erzählt Sutcliffe im Interview. Gerade einmal 2000 Studenten studieren am Hanoier Nationalkonservatorium. In England seien es 100.000 Studenten, die sich mit Kunst- und Musikstudium beschäftigen.

Sutcliffe ist nicht naiv. Er weist darauf hin, dass es Stücke gebe, die auch für Klassik-Anfänger unter den Zuhörern leichter zu verdauen seien, und wundert sich, warum die vietnamesischen Organisatoren nicht öfter solche Konzerte ins Programm aufnehmen. Dass sich „Asiaten“ im Allgemeinen nicht für Klassik interessierten, lässt er sowieso nicht gelten. Man schaue nach Singapur oder Japan, wo die Konzerthäuser voll sind.

„Musik ist nicht schwierig“, lautet einer seiner Sätze. „Man muss nicht verstehen, wie viele Melodien in einem Stück verwoben sind. Man muss nur hinhören. Gefällt es einem? Ja oder Nein. Das ist alles.“

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