Von Kränen, Fischen und Tellern

Um sich möglichst viele komplizierte Dinge zu merken, gibt es diverse Tricks. Die meisten „Superhirne“, die endlos lange Zahlenreihen oder haufenweise sinnloser Wörter im Kopf behalten können, benutzen neben ihrem sicherlich fähigen Gehirn meist auch noch die eine oder andere Hilfe. Beispielsweise, indem man besonders einprägsame Bilder im Kopf kreiert. Wer sich also (aus welchem Grund auch immer) die Begriffe „Bein“ und „Kran“ merken möchte, der sollte sich möglichst nicht vorstellen, wie jemand auf einen Kran zuläuft, sondern er sollte sich besser einen Kran vorstellen, an dem ein Bein hängt (oder ähnliches abstruses). Das Bild bleibt dann leichter im Gedächtnis, weil es etwas Besonderes ist.

Nun ist Vietnamesisch eine sehr bildhafte Sprache. Die meisten Wörter bestehen aus mehreren einzelnen Silben, die oft jeweils eine eigene Bedeutung haben. Das macht es einerseits ziemlich knifflig, die Sprache zu lernen (durch die vielen jeweils voneinander getrennten Silben wirken viele Worte auf Sprachanfänger sehr ähnlich, außerdem ist es dadurch schwieriger, in einem flüssigen Text Wortanfang und Wortende zu finden). Andererseits erlaubt es manchmal die oben beschriebene Eselsbrücke.

Ich habe zum Beispiel anfangs wochenlang vergeblich versucht, mir das vietnamesische Wort für „Fußknöchel“ einzuprägen. Es hat nicht geklappt. Das Wort besteht aus drei kurzen, nebeneinander stehenden Silben, die ich anfangs ständig durcheinander geworfen oder fälschlicherweise durch andere Silben ersetzt habe. Korrekt wäre: „Mát Cá Chân“ (hier nicht völlig korrekt geschrieben, nicht kompatible Zeichen muss ich wie immer ignorieren). „Chân“ ist das Bein, aber was mich anfangs völlig verrückt gemacht hat, ist die Tatsache, dass in dem Wort nichts auftaucht, was mit „Knochen“ oder ähnlichem zu tun hat.

Bis ich dann angefangen habe, mir die Silben tatsächlich genau einzeln anzuschauen.

„Mát“ ist das Auge. „Cá“ ist der Fisch. Der Fußknöchel heißt auf Vietnamesisch also nichts anderes, als „Das Fischauge am Bein“. Und richtig, wenn man es sich mal überlegt, dann sieht so ein Knöchel ja in der Tat aus wie ein Fischauge. Seit diesem Tag hatte ich nie wieder Probleme mit der Vokabel. Sobald sich im Gehirn die Idee eingenistet hat, wie ein Fischauge aus dem Bein hervorschaut, vergisst man dieses Bild nicht so schnell.

Wer auf diese Weise systematisch an Fremdworte herangeht, lernt dabei aber nicht nur etwas über die Fremdsprache, sondern auch ein wenig über seine eigene Sprache, und wie er damit umgeht. Zum Beispiel fand ich es anfangs unglaublich lustig, dass der „Zoo“ im Vietnamesischen „Garten mit hundert Tieren“ heißt. Bis mir dann plötzlich auffiel, dass selbstverständlich auch im Deutschen der Zoo einfach „Tiergarten“ genannt werden kann. Warum aber ist nun „Garten mit hundert Tieren“ seltsamerweise lustig, Tiergarten hingegen völlig normal? Vermutlich, weil wir irgendwann anfangen, unsere eigenen Worte gar nicht mehr in ihre Einzelbestandteile zu zerlegen, sondern sie automatisch mit ihrer Bedeutung verbinden. Bei „Tiergarten“ denke ich eben nicht an einen deutschen Vorgarten, aus dem gemeinsam ein Elefant und eine Giraffe herausschauen (zusammen mit 98 anderen Tieren), sondern ich denke an „Zoo“.

Dasselbe gilt für die Computer-Festplatte, die auf Vietnamesisch „Harter Teller“ heißt. Witzig. Harter Teller. Ha, ha. Erst anschließend wird einem bewusst, dass streng genommen „Festplatte“ natürlich genauso unsinnig ist. Schließlich gibt es keine „Weichplatte“. Und mit der Schlachtplatte hat das Speichermedium auch nichts zu tun. Auch hier sind sich am Ende beide Worte im Grunde sehr ähnlich: Beide sind eine mehr oder weniger direkte Übersetzung aus dem englischen Wort „Harddisk“ (die sich als „Hardware“ wiederum von der ganzen „Software“ absetzen will). Trotzdem klingt „Harter Teller“ für die meisten Deutschen vermutlich irgendwie amüsant, während „Festplatte“ einfach ein ganz normales Wort ist. (Interessant allerdings, dass sich im Gegensatz dazu Computerprogramme nicht als „Weichware“ eingedeutscht haben).

Das Spiel lässt sich weiterspinnen. Bei genauerem Hinsehen ist auch Deutsch unglaublich blumig. Aber niemand denkt bei Nasenflügel an Federn, beim Flussbett an Kopfkissen oder bei der Glühbirne an Obstkörbe.

Ich nehme deshalb an, dass Vietnamesen bei Fußknöcheln nicht an Fische denken. Bin jedoch trotzdem sehr dankbar dafür, dass es zumindest ein paar Worte gibt, die sich halbwegs einfach lernen lassen.

PS: Der eingangs erwähnte „Kran“ heißt auf Vietnamesisch übrigens „Càn Truc“, wörtlich übersetzt: „Gewicht hochziehen“. Werde ich morgen aber sicherlich schon wieder vergessen haben, weil es ein völlig logisches Wort ist, in dem leider keine Beine, Fischaugen oder Elefanten vorkommen.

2 Responses to Von Kränen, Fischen und Tellern

  1. Maxi says:

    sehr interessant.

  2. spatz says:

    ja, finde ich auch.

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