Die ganze Geschichte des Schwerts im See

Die Legende vom Hoan-Kiem-See, dem Schwert und der Schildkröte wird eigentlich fast jedem Touristen in Hanoi irgendwann mal begegnen. Sie steht auch in allen gängigen Reiseführern. Für alle, die sie nicht kennen, sei hier kurz erklärt: Ein vietnamesischer Volksheld und späterer König vertreibt im 15. Jahrhundert mit einem göttlichen Schwert die chinesischen Besatzer aus dem Land. Das Schwert wird später beim Fischen im See von einer Goldenen Schildkröte zurückgefordert.

Nun wird die Geschichte im Allgemeinen so erzählt: Dem Mann ging das Schwert beim Fischen im See ins Netz, er sah das als göttliches Zeichen, vertrieb die Chinesen, später war er als König wieder auf dem See, da tauchte die Schildkröte auf… und so fort. Rest siehe oben. Ich habe extra gerade noch einmal nachgeschaut, sowohl Baedeker Vietnam als auch der Rough Guide (im Deutschen vertrieben vom Loose-Verlag) beschreiben die Legende exakt so. Auch die deutsche Wikipedia schließt sich dieser Beschreibung an. Der Lonely Planet ist etwas vager, und erklärt nur, dem König sei ein Schwert übergeben worden.

In der Tat wird die Sache mit der Übergabe in der eigentlichen Legende ganz anders dargestellt. Es ist gar nicht der König, der das Schwert findet, sondern ein Fischer. Und auch der findet kein Schwert, sondern eine Eisenstange. Beim Fischen. Das will man als Fischer natürlich nicht, also schmeißt er die Stange ins Wasser zurück und fischt woanders weiter. Kurioserweise geht ihm aber auch beim zweiten Mal die Stange ins Netz. Und dann ein drittes Mal. Die Zahl Drei scheint also auch in vietnamesischen Sagen eine wichtige Rolle zu spielen. Beim dritten Mal hat der Fischer die Botschaft verstanden, und nimmt die Eisenstange mit, die sich als Schwertklinge entpuppt. Klinge, wohlgemerkt. Kein Griff.

Der Fischer schließt sich den Aufständischen gegen die Chinesen an, worauf die Klinge in Anwesenheit des Anführers (und späteren Königs) zu leuchten beginnt. Der König versteht die Botschaft sofort (meines Wissens muss das Schwert nicht dreimal leuchten), und nimmt die Klinge an sich. Kurze Zeit später begegnet ihm im Wald ein weiteres leuchtendes Etwas. Auf einer Baumspitze findet er schließlich: Den Schwertgriff. Den Rest kann man sich dann zusammenreimen. Ausführlich gibt es die Geschichte übrigens auch auf der Seite der englischen Wikipedia.

Spannend ist nebenbei auch, wie sich auf wundersame Weise Legenden rund um die Welt gleichen. So bekam ja zum Beispiel auch Jeanne d’Arc von göttlicher Kraft ein Schwert verliehen, was sie als Zeichen sah, um die Engländer aus dem Land zu schmeißen. Und die Engländer selbst wiederum wissen, dass Excalibur nach Artus‘ Tod von einer „Herrin des Sees“ im See versenkt wurde. Kurioserweise findet ja sogar übrigens Harry Potter sein Schwert im See.

Das Fazit müsste also möglicherweise lauten: Wenn jemand (aus welchem Grund auch immer) ein Schwert braucht, sollte er dringend mal beim nächsten See vorbei schauen. Und Fischer sollten Gerümpel, das sie im Netz finden, niemals zurück ins Wasser schmeißen.

Ist auch viel besser für die Umwelt.

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