Im Reisebüro

Ich habe am Mittwoch Flugtickets gekauft. Das Reisebüro war ein durchaus geräumiges Geschäft, auf der linken Seite standen die Tische der Angestellten, und auf der rechten Seite war alles frei.

Also, eigentlich wäre normalerweise dort alles frei gewesen. In diesem Fall stand dort stattdessen ein dicker, neuer, schwarzer Mercedes. S-Klasse. Nun ist das mit der Parkplatzsituation in Hanoi so eine Sache, denn meistens sind Parkplätze inexistent, und es ist nicht unüblich, dass Kunden ihre Motorroller direkt im vorderen Teil eines Ladens parken. Was von außen bei flüchtigem Blick aussieht, wie ein Motorradladen könnte also in Wirklichkeit auch ein Brillengeschäft sein. Um einen Kundenwagen handelte es sich allerdings hier wohl nicht, denn allein das Größenverhältnis zwischen Glastür und Auto gab Rätsel auf, wie der Wagen eigentlich in den Raum geraten war.

Ich setzte mich also auf einen Stuhl, direkt neben dem Kühlergrill. Der Stuhl war in etwa so breit, wie der linke Frontscheinwerfer lang war. Aus der Sitzperspektive wirkte der Wagen durchaus einschüchternd. Man sitzt nicht alle Tage auf Augenhöhe mit einem Frontscheinwerfer.

Kurze Zeit später schob ein Angestellter aus dem hinteren Büroräumen kommend seinen Motorroller an mir vorbei und auf die Straße hinaus. Was ich irrtümlich für einen Büroraum gehalten hatte, war also in Wirklichkeit eher ein Verschiebebahnhof. Die Tische und Angestellten vermutlich Dekoration.

Aus der Sitz-Perspektive ließ sich auch deutlich erkennen, dass der Mercedes zwei Nummernschilder trug. Unter dem vietnamesischen Nummernschild lugte noch das deutsche hervor, und erklärte in großen Lettern, dass der Wagen ursprünglich mal in einem Berliner Autohaus gestanden hatte. An der linken Seite prangte stolz das blaue Europa-Emblem mit dem „D“ in der Mitte.

Zum Glück konnten die Dekorations-Angestellten mir trotzdem das Flugticket aushändigen. Was genau mir der Besitzer des Reisebüros mit dem Mercedes sagen wollte, weiß ich allerdings nicht: Dass es der Flugbranche in Vietnam gut geht? Dass ich einen viel zu teuren Preis bezahlt habe? Dass ich ihm vertrauen kann, weil er reich ist? Dass in seinem Büro deutsche Präzision herrscht? Oder dass die Angestellten fleißig arbeiten sollen, damit sie es auch mal zu etwas bringen?

In Vietnam gilt auf Autos übrigens eine Importsteuer zwischen 80 und 100 Prozent (ändert sich ständig) und eine Luxussteuer von etwa 50 Prozent. Wir reden hier also vermutlich von einem Einkaufspreis von knapp 200.000 Euro für eine S-Klasse.

Vielleicht sollte ich doch noch mal dringend überprüfen, ob der Preis auf dem Flugticket stimmt.

3 Responses to Im Reisebüro

  1. yeuem says:

    lustige Geschichte zum nachdenken

    bewundert hat mich nur – es gibt in Ha Noi noch Flugtickets
    hier gibts doch nur noch E-Tickets

    • ngungon says:

      Es gibt auch hier E-Tickets.

      Was es nicht gibt, ist eine flächendeckende Kartenzahlung oder Online-Zahlung. Man muss also, um sein E-Ticket zu kaufen, ins Reisebüro gehen, dort in bar bezahlen, und bekommt anschließend das E-Ticket zugeschickt.

      Oder, sogar häufigere Variante: Ein Mitarbeiter des Reisebüros fährt in die Wohnung oder das Büro, und kassiert dort. Anschließend wird das E-Ticket zugeschickt. Das würde auch erklären, warum der Platz im Büro als Parkplatz genutzt werden kann.

  2. yeuem says:

    „warum der Platz im Büro als Parkplatz genutzt werden kann“
    freie Plätze, egal wie wo immer werden genutzt für irgendwas
    ich denk das ist eine lange Tradition oder man könnte romane schreiben dazu – wie was genutzt, benutzt wird oder mit den Jahren sich verändert. In der heutigen Zeit fehlt es eben an Parkmöglichkeiten in HaNoi – vor 20 Jahren konnte man sein Fahrrad wohl noch kostenfrei unbewacht ablegen …

    Aber wegen den Flugtickets, bewundert hat mich das es noch Tickets in Papierform gibt, weil hier wenn man fliegt gibts das seit Jahren schon nicht mehr. Nur eine Ausdruck der Flugbestätigung. also die Zeiten wie man wann fliegt und umsteigt.

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