Der „echte“ Tourist

Ausländische Touristen sind für viele Vietnamesen ein Buch mit sieben Siegeln. Das mag überraschend klingen, angesichts der Tatsache, dass Vietnam nun schon seit einiger Zeit die Schwelle vom „Individualreisen“-Land zum beginnenden Massentourismus überschritten hat, und man an verschiedenen Orten im ganzen Land über Touristen förmlich stolpert. Trotzdem scheinen gerade viele der Vietnamesen, die rund um die Tourismus-Industrie beschäftigt sind, diese Fremden nicht ganz zu verstehen. Kulturelle Missverständnisse gibt es in beiden Richtungen.

Viele Reiseanbieter verstehen nicht, warum viele Ausländer von butterfahrtähnlichen Massenausflügen eher abgeschreckt oder sogar angewidert sind. Sie verstehen nicht, warum viele Touristen ein Problem damit haben, wenn sie überall etwas kaufen sollen. Und die Behörden verstehen zum Beispiel nicht, warum es eine wirklich komplett bescheuerte Idee sein könnte, dass künftig alle Schiffe in der Halong-Bucht weiß gestrichen werden sollen.

Das liegt sicherlich zum einen daran, dass viele dieser Menschen noch nie selbst im Ausland waren (geschweige denn sich solch eine Reise überhaupt leisten könnten), zum anderen daran, dass Massenausflüge mit anschließendem Massenkauf für nicht wenige Vietnamesen exakt den „perfekten Urlaub“ darstellen. Und letztens liegt es bei manchen auch an schlichter Ignoranz oder Habgier.

Wenn auf beiden Seiten kulturelles Missverständnis herrscht, ist der Zusammenprall nicht fern. In Vietnam kam es vor einigen Wochen zu einer wildhysterischen Debatte über den Blog-Eintrag eines Touristen, der erklärte, er wolle nie wieder nach Vietnam reisen. Das Echo, das dieser Artikel auslöste, war eigentlich weder der Qualität des Beitrags noch dem Erscheinungsort gerecht (nämlich der zwar im Internet bekannten, aber darüber hinaus nicht gerade weltweit einflussreichen Internetzeitung Huffington Post). Die vietnamesischen Medien reagierten allerdings darauf, als hätten BBC, CNN und Al Jazreera gleichzeitig Vietnam geschmäht: Mit Entsetzen.

Nun kann der falsche Anlass ja durchaus zu sinnvollen Ergebnissen führen. Dass Vietnam überhaupt eine Debatte darüber führt, wie sich Touristen im Land fühlen, ist eigentlich zu begrüßen. Nicht wenige Stimmen mahnten, der Blogger habe ja recht, wenn die Habgier im Tourismus und bei den Straßenhändlern beklagten. Manche Vietnamesen erklärten, sie ärgerten sich ebenfalls über solches Verhalten. Nicht wenige legten allerdings auch ihre Stirn in heilige Falten, und gerieten in heftigen Zorn darüber, dass es da jemand wagte, Vietnam zu kritisieren. Auf der Seite der Huffington Post folgte eine hitzige Debatte mit über 900 Kommentaren. Darunter von erzürnten Menschen, die erklärten: „Dann bleib doch weg! Touristen wie dich brauchen wir nicht!“

Eine Einstellung, die freilich keiner der beiden Seiten hilft. Vietnam braucht die Touristen, sie bringen Geld ins Land, sie rücken das Land ins öffentliche Bewusstsein, und vielleicht bleiben manche ja sogar oder kommen später als Geschäftspartner wieder. Dementsprechend pumpt die Regierung ja auch immer wieder Geld in Werbekampagnen. Die aktuelle trägt den Titel „The Timeless Charm“, „der zeitlose Charme“. Der alte Slogan davor lautete „Der versteckte Charme“. Es ist nicht ganz klar, warum er ausgetauscht wurde, vielleicht war er so gut versteckt, dass selbst die Tourismusverantwortlichen ihn nicht mehr gefunden haben, und einen neuen brauchten. Mitsamt einem neuen Logo. Das Logo, eine vielfarbige Lotosblüte, hat dabei das Problem, dass zwar der Designer sehr detailliert erklären kann, was jedes einzelne Blatt symbolisiert, aber nichts davon sich auf den ersten Blick erschließt. Das grüne Lotos-Blatt zum Beispiel steht für Inseln und Meerestourismus. Logisch, oder?

All diese Dinge sollte man im Kopf haben, wenn man folgenden Artikel auf der Webseite des Radiosenders VOV liest: „I am a real backpacker„, ich bin ein echter Rucksacktourist, lautet die schlichte Überschrift.

Gesagt hat diesen Satz angeblich ein Australier namens Thomas Johnson. Johnson macht einen etwas seltsamen Rucksack-Urlaub: Er reist drei Wochen durch Hanoi. Ich bin zwar selbst immer der Meinung, man sollte in Vietnam nicht zu sehr durch das Land hetzen, und sich für Hanoi ruhig etwas mehr Zeit lassen, aber drei Wochen…? Ich gebe zu, ich hätte keine Ahnung, was ich drei Wochen als Tourist hier tun würde.

Thomas jedenfalls spricht bereitwillig mit dem Journalisten, und er erzählt, warum er Hanoi so liebt: Es sei eine sehr bequeme Stadt, mit stabilen Arbeitsumfeld und freundlichen Mensch… äh, Moment, wie bitte? Arbeitsumfeld? Ja, sagt er. Thomas möchte offenbar in seinem Urlaub etwas arbeiten, und freut sich über die gute Arbeitsmarktsituation in Vietnam. Ein darauffolgendes Bild zeigt ihn… links. Oder rechts. Man weiß es nicht so genau. Es zeigt zwei junge Männer, einer lächelt in die Kamera, ein anderer hat einen Rucksack. Allerdings nicht die Art von Rucksack, die man von einem Rucksacktouristen erwartet, erst recht nicht von einem „echten“ (wie es ja in der Überschrift heißt). Eher von einem Menschen, der gerade einen halbstündigen Ausflug macht. Die Bildunterschrift erklärt leider auch nicht, wer Thomas Johnson ist, es gibt nämlich keine.

Als nächstes lässt sich Thomas über die fantastische Küche in Vietnam aus, und erklärt, er habe sämtliche der umliegenden Handwerksdörfer rund um Hanoi besucht, weil er ganz wild auf originale Handwerkskunst sei. Und jetzt lernt der Leser schließlich auch, warum diese Rucksacktouristen ihre Rucksäcke mit sich herumtragen: „Wo immer ich hingehe, lassse ich mich von handgemachten Sachen wie dem Ao Dai, den konischen Hüten oder Töpferwaren begeistern. Deswegen ist mein Rucksack immer so schwer und so voll.“ Der Ao Dai, wohlgemerkt, ist ein weibliches Frauenkleid.

Wir brechen an dieser Stelle mit der Lektüre des Artikels ab, und halten fest: „Thomas Johnson“ hat mit Sicherheit niemals existiert. Seine Worte sagen stattdessen sehr viel darüber aus, wie manche vietnamesische Journalisten ausländische Rucksacktouristen sehen, und vor allem wie sie sich erklären, warum diese Rucksäcke immer so riesig sind: Sie sind nicht etwa vollgestopft mit Wäsche, Gaskocher und Zelt (wozu auch, wenn man drei Wochen in Hanoi Urlaub macht?), sondern mit vietnamesischen Frauenkleidern, Strohhüten und Keramikschüsseln.

Thomas Johnson ist ein herrliches Beispiel dafür, was falsch läuft im Verständnis zwischen Vietnamesen und ausländischen Touristen. Verwirrt darüber, dass eine (angeblich) renommierte Zeitung schlecht über Vietnam schreibt, hat sich offenbar ein Journalist hingesetzt, um die Welt dort draußen mit dem schillernden Gegenbeispiel davon zu überzeugen, dass Vietnam als Reiseland lohnt. Es kommt übrigens noch schlimmer: Die ausländische Internetgemeinde in Vietnam hat auch das Foto, das aus gutem Grund keinen Untertitel trägt, als Foto entlarvt, das ursprünglich einen völlig anderen Artikel zierte.

Die ganze Geschichte ist freilich sowohl etwas zum Schmunzeln als auch zum Weinen. Aus professioneller Sicht weine ich darüber, dass Journalisten sich nicht zu schade sind, komplette Personen zu erfinden, und leider ist diese Art der schludrig-frechen Schreibe kein Einzelfall. Gleichzeitig lässt sich sehr wohl darüber schmunzeln, was wir durch den Artikel darüber lernen, wie manche Vietnamesen ihr Land und wie sie die Ausländer sehen. (Thomas Johnson wird beispielse noch erzählen, dass er am liebsten in Cyclos herumfährt, weil man dabei so viel über den vietnamesischen Alltag lernt, und dass er als nächstes unbedingt nach Ho-Chi-Minh-Stadt möchte, weil er von Ho Chi Minh so begeistert sei. Beides ist haarsträubender Blödsinn, schon allein, weil der liebe Onkel Ho niemals in Saigon gelebt hat.)

Dabei wäre die Lösung des Problems freilich eine einfache: Zuhören. Genauso wie man mit gutem Grund von den Touristen verlangt, dass sie sich auf die lokalen Bräuche einlassen, ihre eigenen Dünkel hintenan stellen und den Pulsschlag des Landes fühlen sollten, darf man umgekehrt von den vietnamesischen Gastgebern vielleicht auch verlangen, dass sie den Touristen tatsächlich zuhören, wenn diese über Vietnam sprechen. Nicht alles mag den Gastgebern gefallen. Man muss auch nicht alles für bare Münze nehmen.

Aber ein solcher Dialog sollte sicherlich schneller zum Ziel führen, als sich den „echten, idealen Touristen“ zu erfinden.

3 Responses to Der „echte“ Tourist

  1. yeuem says:

    Naja, blos nicht aufregen …
    Zum Teil hast schon Recht. Aber ich war einige Jahre auch in HaNoi Tourist, aber 3-4 MONATE, aber Langeweile hatte nie, weil ich mir immer eine Aufgabe stellte jeden Tag.

    Was ist denn dies „The Huffington Post“ – irgend so ein Schei.. AOL ala USA oder BILD dir deine Meinung
    Hostname http://www.huffingtonpost.com Internetdienstanbieter Deutsche Telekom AG
    IP-Adresse 80.154.79.16

    Englische sprachige Seiten aus Viet Nam lese ich auch nicht mehr, ich quäle mich lieber mit den vietnamesisch sprachigen Zeitungen/Blogs rum, da erfahre ich weniger Verblödung.

  2. ngungon says:

    Die „Huffington Post“ ist eine Online-Zeitung, die sehr stark von der Beteiligung von ganz normalen Usern lebt, und galt lange Zeit als eine kleine Revolution im Internet und als Spitze gegen kommerzielle Medien. Sie veröffentlicht einerseits Kommentare und Links zu anderen Seiten, sowie auch eigene Blogs und anderes. Wie man an deinem Kommentar sieht ist sie aber außerhalb des Internets kaum bekannt, und selbstverständlich bedeutet die Beteiligung von nichtkommerziellen Journalisten nicht zwangsläufig, dass die Qualität der Beiträge dadurch besser wäre.

    Davon abgesehen geht es mir ja absichtlich nicht um den dort erschienenen Beitrag, sondern um die Folgen, die er ausgelöst hat.

    „Englischsprachige“ Nachrichten gibt es in Vietnam ja sowieso kaum, das meiste sind ja Übersetzungen aus dem Vietnamesischen, teilweise haben Online-Zeitungen wie Vietnamnet auch kleine, eigene Redaktionen. Und in diesem Fall ist besagter Artikel ja nicht irgendwo erschienen, sondern auf der Webseite des wichtigsten Radiosenders Vietnams. Gerade und vor allem dort erwarte ich ein klein wenig Bewusstsein für journalistische Ethik. Geschichten erfinden oder zurechtbiegen geht gar nicht, nirgendwo.

    Selbstverständlich gibt es auch seriöse und gut ausgebildete Redakteure in Vietnam. Umso schlimmer, dass solche Geschichten passieren. Sie passieren ihn ähnlicher Weise leider auch auf Vietnamesisch. Für Ausländer sind sie da nur möglicherweise schwieriger zu durchschauen. Ich kenne aber durchaus Journalisten, die der Meinung sind, dass man es mit der Wahrheit nicht so genau nehmen muss, wenn das Ziel stimmt.

  3. yeuem says:

    „Geschichten erfinden oder zurechtbiegen geht gar nicht, nirgendwo.“
    „Ich kenne aber durchaus Journalisten, die der Meinung sind, dass man es mit der Wahrheit nicht so genau nehmen muss, wenn das Ziel stimmt.“
    —————
    Das stimmt wohl. Ich lese aber die VOV/Vietnamnet-english nicht mehr – weil die Seiten sind mir zu hochglanzgebügelt, eben mit dem Ziel Vietnam nur in einem guten Licht zu zeigen, selten mal Kritik, und, wenn Kritik dann wohl auf Parteilinie. Welchen Affen die VOV geritten hat diesen Artikel zu schreiben, naja, da kann man nur mit dem Kopf schütteln und Kritik an der richtigen Stelle in der VOV abliefern (also das so etwas oder ähnliches vermieden werden kann) —
    Was ich überhaupt nicht verstehe, ist diese Aufregung über diesen Artikel von diesem Matt Kepnes der mit Vietnam aber eigentlich überhaupt nicht am Hut hat, genau wie die Huffpost in der man fast nicht zu Vietnam erfährt.
    http://www.nomadicmatt.com/travel-blogs/why-ill-never-return-to-vietnam/
    http://www.nomadicmatt.com/?s=vietnam – No VN
    http://www.youtube.com/user/keppiezbt – 40videos (not VN)
    http://twitter.com/#!/nomadicmatt – schreibt er selbst wohl

    Und diese Huff.post, gibt ja CAN/USA/UK/France … green,sport….. UND die soll was kritisches sein, kleine Revolution(war vielleicht mal), wenn ich da was suchen „hoa luu“ dann soll ich weiter suchen bei AOL. Ich glaub es gibt (besseres) anderes was man lesen kann um sich zu bilden über Vietnam und dem Tourismus. In Vietnam hat jeder Narr Reisefreiheit und kann das Land auf eigne Weise erkunden. Da lese ich lieber WIKIpedia_vn , photo.skydoor.net , dulichgo.blogspot.de zur Bildung.
    Und wenn ich in HaNoi Leute sehe im Januar in kurzen Hosen/kurzärmlichen T-shirt, das sind dann die Leute aus AUS/USA – den Krankenwagen muss man dann nicht rufen.

    Kannst Dir ja das noch betrachten
    http://www.alexa.com/siteinfo/search.huffingtonpost.com

    (kürzen oder nicht veröffentlichen ist erlaubt)

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