Surrealistischer Realismus

Viele Leute sagen, Cyclo sei einer der besten Filme über das moderne Vietnam. Die Geschichte eines Cyclo-Fahrers (das sind diese Fahrradtaxis) aus dem Saigon der 90er Jahre, der aus Verzweiflung sich einer Gang anschließt, und eines Gang-Anführers, der plötzlich Liebe und Mitgefühl entdeckt. Eine Geschichte über Leidenschaft, Gewalt und Aussichtslosigkeit im modernen Vietnam. So shocking realistisch, dass der Film hier nie gezeigt werden durfte.

(Und trotzdem in gut sortierten DVD-Läden erhältlich ist. Wir sind schließlich in Vietnam.)

Ich muss all dem ein entschiedenes: „Hm.“ entgegen setzen.

Vielleicht habe ich ja in den vergangenen sechs Monaten das Gespür und die Freude an Metaphern und „Nouvelle Vague“ und solchen Dingen verlernt. Aber unter dem Strich präsentierte sich mir der Film als mächtiges Über-120-Minuten-Epos mit sehr viel Gewalt, ein paar äußerst absonderlichen sexuellen Obsessionen, und einem Bündel an Bildersprache, das sich mir entweder nicht erschloss oder zu profan vorkam. „Brillianter Realismus“, „Meisterwerk“ und „Visuelles Gedicht“ überschlagen sich sogar die User auf der Filmdatenbank imdb.com. Ich kann es nicht ganz nachvollziehen. Die Story hat ein paar Szenen, die irgendwie nicht zusammenpassen, und gipfelt in einer Selbstmordszene mit blauer Streich-Farbe, in der am Ende doch nur zwei Goldfische erschossen werden.

Wer sich jetzt fragt, was blaue Farbe und Selbstmord mit Goldfischen zu tun haben, dem kann ich nur sagen: Ich weiß es auch nicht.

Aber vielleicht bin ich auch einfach zum cinematographischen Banausen geworden, seit ich die Film-Metropole … äh… Heilbronn verlassen habe.

One Response to Surrealistischer Realismus

  1. Martin says:

    Jetzt bin ich aber enttäuscht, dass du diese Szene nicht gleich mustergültig interpretiert hast.
    Ist doch eigentlich ganz einfach: Die Farbe steht natürlich für das Wasser, in dem der Fisch sein normales Leben führt. Es handelt sich in dieser Szene jedoch nicht um irgendeinen Fisch, nein, es handelt sich um einen Goldfisch und wie jeder weiß leben diese zwar auch im Wasser aber insbesondere in kleinen Glaskugeln, auf den Schreibtische amerikanischer Polizeichefs.
    Nun kann man sich vorstellen, dass das Leben eines solchen Goldfisches sehr eintönig und ausweglos ist. Immer im Kreis und nichts neues slebst bei der 100000sten Umrundung des Goldfischorbits…. Dies entspricht der ausweglosen Situation eines vietnamesichen Cyclo-Gangmitglieds, der den Teufelskreis nur durch seinen, meist gewaltsam herbeigeführten Tod durchbrechen kann. Dafür steht der Selbstmord. Versuchs aus, gib dem Goldfisch die Möglichkeit sich selbst zu richten und du wirst die Tiefgründigkeit dieser Interpretation erkennen.
    Ich überlasse es dem Leser, diesen Gedankengang zu beenden….
    m

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