Zeitplanung vietnamesisch

Die Gäste rücken an.Heute war Verlobungsfeier. Nicht von mir, keine Angst. Die Cousine hat sich verlobt. Zu den Details hoffentlich später. Verlobung ist in Vietnam eine recht aufwändige Sache. Es nimmt nämlich die ganze Familie daran teil. Genauer gesagt: beide Familien. Noch genauer: Die eine besucht die andere, und vereinbart in einer genau festgelegten Zeremonie die Hochzeit.

Braut und Bräutigam in spe standen dabei die ganze Zeit eigentlich nur an der Seitenlinie herum. Da das Zimmer so klein war, haben sie noch nicht einmal die Reden mitbekommen.

Die Hochzeit ist übrigens am Sonntag.

„Das ist aber diesmal auch sehr kurzfristig„, erklärte mir meine einheimische Begleitung. „Weil der Bräutigam in Schweden arbeitet, und nur zwei Wochen Zeit hat.“

Wieviel Zeit denn normalerweise so zwischen Verlobung und Hochzeit vergeht, fragte ich.

„Normalerweise länger. Eine Woche.“

Das Paar mit Brautjungfern.Morgen fährt die Familie der Braut zu den Gästen, und lädt sie für die Hochzeit ein. Es sind 40 Tische mit je 6 Gästen. 240 Leute, also für vietnamesische Verhältnisse eher eine kleine Feier. „Das heißt, sie laden sie formell ein – die wissen schon alle davon, nehme ich an“, lautete meine naive Frage.

„Nein, die erfahren den Termin morgen.“

„In Deutschland könnte man niemals DREI Tage vor einer Hochzeit die Gäste einladen“, fing ich an, meine einheimischen Gastgeber zu belehren. In Deutschland macht man das schließlich, naja, mindestens Wochen, wenn nicht gar Mo-na-te zuvor.

Ja, warum eigentlich?

Weil in Deutschland 30 Personen sagen würden, dass sie mit ihrem Sportverein am Sonntag ein wichtiges Match haben, 16 hätten Auftritt mit ihrem Chor (oder müssten zum Auftritt ihrer Tochter), 24 müssten vermutlich für eine karikative Einrichtung Kuchen verkaufen, 32 hätten eine wichtige Vereinssitzung, auf der gerade der neue Vorstand gewählt wird und 12 hätten eine Geburtstagsfeier in der Familie.

Und viel mehr Gäste haben ja manche deutschen Hochzeiten schon gar nicht.

Der Punkt ist hier: Der letzte Hinderungsgrund (Feier in der Familie) fällt sowieso weg, weil zur Hochzeit mindestens die ganze Familie eingeladen wird. Eigentlich lädt man wortwörtlich jeden ein, den man kennt, denn er könnte sich sonst gekränkt fühlen. Was die anderen Gründe angeht: Vietnamesen haben keine Hobbys.

Nein, falsch: Deutsche haben zu viele Hobbys. Oder vielleicht eher: Deutsche Hobbys sind so organisiert. Irgendwie muss es damit zusammenhängen.

Feierliche Ansprachen.Vietnamesen haben offenbar am Wochenende nicht so viel vor. Es ist nicht so, dass sie nicht auch Tennis spielen oder Aerobic machen würden, aber das kann man ja auch verschieben. Außerdem ist gerade Heiratssaison, da ist jeder offenbar sowieso darauf vorbereitet, eingeladen zu werden.

Vielleicht liegt es auch an unserem Prinzip der Individualität. Vielleicht gilt es als unhöflich, einem guten Bekannten so kurzfristig in seine Wochenend-Planung hinein zu pfuschen. Ganz ehrlich: Wenn man hier sieht, dass es offenbar möglich ist, fragt man sich auf einmal:

Warum kann man in Deutschland Gäste für eine Hochzeit nicht drei Tage vorher einladen?

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