Romantik im Dunkeln

Ich wollte über folgendes Thema schon längst schreiben, aber so ist das nach einiger Zeit in einem Land: Seltsamkeiten werden zu Alltäglichem und man vergisst sie.

Zum Glück bin ich dann gestern Abend mal wieder als es dunkel wurde, an einem Samstagabend am Westsee vorbeigefahren.

Wer bei Einbruch der Dunkelheit (oder auch schon vorher) aufmerksam durch Hanoi fährt, der wird an allen See-Ufern (und Hanoi hat viele Seen) oder auf Parkbänken Pärchen sitzen sehen. Erst beim zweiten Blick fällt dann auch gelegentlich auf, dass sie gar nicht auf Bänken sitzen, sondern auf Mopeds (und Hanoi hat sehr viele Mopeds). Sie sitzen da zu zweit nebeneinander, teilweise auch umschlungen. Als Faustregel gilt da in etwa, dass es umso umschlungener ist, je dunkler es gerade wird.

Diese Pärchen sitzen da nicht, weil es an Seeufern oder Parks so romantisch ist. Das heißt, das mag mit eine Rolle spielen, aber nach allem was man so hört ist es eine untergeordnete Rolle. Sie schauen nämlich meist auch gar nicht auf den See, sondern sind mit sich selbst beschäftigt.

Des Rätsels Lösung liegt vielmehr darin, dass diese Orte oft die einzigen sind, an denen sie überhaupt unter sich sein können. Unverheiratete junge Paare pflegen sich nicht zu Hause zu treffen, dürften das oft auch gar nicht, zumindest nicht ohne die Anwesenheit der restlichen Familie (was ohnehin angesichts kleiner Häuser oft schon räumlich schwierig wäre).

Was wiederum eine Erklärung dafür wäre, warum diese Pärchen auf den Bänken mit Seeblick teilweise Küsse in einer Heftigkeit austauschen, wie man sie Europa in der Öffentlichkeit wiederum eigentlich selten sehen würde. Das ist zunächst mal paradox, da umgekehrt ansonsten selbst flüchtige Küsse auf die Wange oder die Stirn eigentlich mehr oder weniger tabu, oder schlicht zumindest nicht üblich sind. Offenbar greift hier aber auch das alte menschliche Verständnis von „Sehe ich dich nicht, kannst du mich auch nicht sehen.“ Insofern fühlen sich die meisten vermutlich gar nicht in der Öffentlichkeit.

Gerade in dunklen Parks gleicht die ganze Sache übrigens oft einem dieser Suchbilder: Zuerst denkt man, das Bild zeige einen ganz normalen Park mit vielen Baumstämmen. Je länger man sich auf das Bild konzentriert, desto mehr sieht man, dass hinter jedem Baumstamm ein Pärchen sitzt oder steht. Vietnam ist, wie bereits einmal erwähnt, ein sehr junges Land.

3 Responses to Romantik im Dunkeln

  1. Tanja says:

    In Deutschland macht man ja auch, dass man sich im Kino trfefft oder irgdendwo im Park mit seinem Freund, weil die Eltern nicht anders erlauben würden wenn man Vietnamesen ist.
    Und weil die Eltern das wissen, erlauben sie nicht immeer, dass man abends noch mal weg gehet. Man muss schon gute Gründe fineden, um das zu dürfen.

  2. admin says:

    Das ist um ehrlich zu sein eine Sache, die mich auch hier in Vietnam wundert: Eltern sind ja normalerweise nicht blöd, sondern können sich ja ausrechnen, was die Kinder tun.

    Andererseits: Solange es nur beim Küssen und Kuscheln bleibt, schaut man wahrscheinlich mancmal auch einfach wohlwollend „weg“. Irgendwie müssen sich Paare ja finden.

  3. m says:

    Nach vietnamesischer Vorstellungen sind ja auch immer noch die Ahnen, Küchengeister und so was im Haus und schauen mit strengen Augen zu. Wenn man bei der Partnerwahl noch am Suchen ist, könnte das ein Problem sein. Denn der Familie und den Ahnen den Partner vorzustellen, das hat was endgültiges. Von Parkgeistern habe ich hingegen noch nichts gehört.

    Angesichts beengter Wohnverhältnisse stelle ich mir aber sogar für verheiratete Paare die Romanze im Park angenehmer vor als die zu Hause. Wo ja immer noch Schwägerinnen, Nachbarn usw. zugange sind. Und dass verschiedene Generationen ein Zimmer teilen, ist ja durchaus üblich.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert