Reifenpanne

Gestern mittag war der Reifen platt. Das ist nun angesichts der Straßenzustände in Hanoi nicht unbedingt so ungewöhnlich, und mir vor kurzem bereits einmal passiert. Nämlich nachts nach dem Restaurant-Besuch um zehn Uhr. Damals hatte ich mich sehr über das vietnamesische System gefreut, das einem auch um halb elf noch einen Mechaniker herbeizaubert, der in zehn Minuten den Reifen geflickt hat. Für einen Euro, Ausländerzuschlag vermutlich inklusive. Macht ja nichts, ein deutscher Mechaniker hätte vermutlich mindestens 35 Euro Anfahrtsgebühr, 50 Euro Stundenlohn, 15 Euro Nachtzuschlag und 10 Euro für den neuen Reifen verlangt. Und wäre auch nicht nach drei Minuten aufgetaucht.

Die Nachteile des Systems durfte ich dann gestern kennenlernen. Die Mechaniker basteln zu zweit am Hinterrad herum und erklären dann, der Schlauch sei nicht zu flicken, da das Problem am Ventil liege. Ein neuer Schlauch müsse her. Als Nicht-Moped-Fachmann ist es schwer, da mit geballter Fachkenntnis solche Aussagen in Zweifel zu ziehen.

Einen neuen Schlauch aufzuziehen dauert aber dann doch deutlich länger als zehn Minuten, vor allem weil die Mechaniker es zu zweit nicht so ganz hinbekommen. Beide sind ziemlich jung, tragen Baseball-Kappen, der eine hat die ganze Zeit ein Stück Zahnstocher im Mund. Und sie haben eine moderne Fußpumpe zum Aufblasen. Schließlich klappt’s, Kostenpunkt umgerechnet zwei Euro und ich überlege mir beim Wegfahren noch, dass das eigentlich eine ganz clevere Geschäftsidee ist: Nehmen wir mal an, der Schlauch war sehr wohl noch zu benutzen, dann können sie den jetzt weiterverkaufen.

Nachmittags, als ich zur Arbeit fahren will, ist der Reifen schon wieder platt. Der Reifen mit dem neuen Schlauch.

So etwas ärgert einen dann durchaus.

Also nächster Mechaniker. (Viele von denen sitzen übrigens am Straßenrand herum und warten auf Kundschaft. Unter den Vietnamesen gibt es teilweise Gerüchte einige seien so clever und würden ein paar hundert Meter von ihrem Sitzplatz Nägel ausstreuen. Ich denke, das zählt aber eher unter „Urban Legend“.) Dieser ist sehr viel älter als die beiden Jungen vom Mittag. Er hat spindeldürre Beine, trägt eine gekürzte Stoffhose, ein dunkelgrünes Armee-Hemd und ebenfalls eine Baseball-Kappe. Und er hat nur eine alte Handpumpe, auf die er sich mit seinem ganzen Gewicht stemmen muss. Aber er hat den Schlauch in nur der Hälfte Zeit im Vergleich zu den Jungs am Mittag gewechselt.

Ach ja, und er sagt, der Schlauch von heute mittag sei ein „gefälschter Schlauch“ gewesen. Was immer das genau sein soll. Vermutlich meint er damit unter anderem, er käme aus China.

Dann pumpt er auf, testet noch einmal (löblich), und stellt fest, dass immer noch Luft entweicht. Nimmt also den Schlauch wieder runter, lässt ihn durchs Wasserbad gleiten, und stellt hierbei wiederum fest, dass das Ventil undicht ist.

Also muss der dritte Schlauch her. Diesmal ist er so schlau, und testet den Schlauch im Wasserbad BEVOR er ihn in den Reifen pfriemelt.

Insgesamt dauert das Prozedere dann doch fast eine Dreiviertelstunde.

Wohlgemerkt: Solche Dinge sind mir auch in Deutschland passiert. In Deutschland hätte man zwar die juristische und offiziell vertraglich gesicherte Möglichkeit, schlechte Teile und schlampige Arbeit anschließend zu reklamieren, aber den Ärger hat man trotzdem. Insofern ziehe ich dann das vietnamesische System bis auf weiteres sogar immer noch vor.

Es sei denn, ich gehe nachher runter, und mein Reifen ist schon wieder platt.

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