Folienblind

Powerpoint-Präsentationen gehören zu diesen prinzipiell sinnvollen Erfindungen, die, falsch angewendet, wahnsinnig machen können. Die Welt ist, nach meiner Beobachtung, überschwemmt von Massen ziemlich schlechter Präsentationen, mit Hilfe derer ein langweiliger Vortrag wahlweise noch langweiliger oder noch verwirrender wird.

Zu den größten Verbrechen gehören dabei Folien, die bis in die letzte Ecke vollgekritzelt sind, so dass man Adleraugen bräuchte, um sie lesen zu können. Anders gesagt: Komplette Texte statt Gedächtnisstützen oder Schlagworte. (Eine Unart, die mir leider auffallend häufig bei vietnamesischen Präsentationen begegnet.)

Für eine eigene Präsentation vor einer Gruppe von 30 vietnamesischen Journalisten zum Thema Umweltjournalismus hatte ich etwas erschwerte Bedingungen: ohne Beispieltexte und Textauszüge lassen sich Stärken, Schwächen und Fehler nun mal schlecht erklären. Also mussten Texte auf die Folien. Die Schrift wurde so groß wie möglich gezogen, und die Auszüge zusätzlich vorgelesen.

Der Übersetzer gab mir dann zu bedenken, dass wohl viele Teilnehmer die Folien an der Wand trotzdem nicht lesen könnten. Er selbst auch nicht. Ich sah ihn an. Schaute zurück zur Wand. Aus unserer Entfernung war alles klar lesbar. „Ich kann es nicht lesen“, sagte der junge Mann entschuldigend. „Meine Augen sind nicht gut genug.“

Es stellte sich heraus, dass Vortragende in Vietnam zusätzlich zu allen anderen Präsentationsregeln auch noch eine ganz besonders beachten sollten: Sie sollten nicht davon ausgehen, dass alle Teilnehmer auch tatsächlich eine Brille haben, die ihnen 100 Prozent Sehfähigkeit verschafft.

Oder dass die Menschen vor ihnen überhaupt eine Brille besitzen, obwohl sie eigentlich eine bräuchten.

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