Achtung, ich will tanzen!

Vietnam hat es mal wieder in die internationalen Schlagzeilen geschafft, mit einer Geschichte, die irgend etwas zwischen kurios und brutal zu sein scheint, und bei der es einige Anzeichen dafür gibt, dass sie nicht ganz stimmt. (Das ist das Problem, wenn man die Arbeitsbedingungen für ausländische Journalisten so schwer macht, dass kaum jemand herkommt, und am Ende jeder vom anderen abschreibt.)

Es geht um Demonstrationen. Und um Tänze.

Im Jahr 2014 jährt sich zum 35. Mal der kurze Krieg zwischen Vietnam und China, ein in seiner Entstehung ziemlich vielschichtiger Konflikt, der 1979 nur vordergründig wegen des Einmarschs der Vietnamesen in Pol Pots Kambodscha ausbrach. International wurde er schon damals nur relativ verhalten wahrgenommen, weil er nicht so ganz ins Raster des Kalten Krieges passte. Warum sich plötzlich ausgerechnet zwei kommunistische Staaten bekämpfen, war dem Westen unerklärlich, und schien für den Ostblock eine irgendwie geartete Verschwörung des Feindes.

Wer sich mit vietnamesischer Geschichte ein klein wenig beschäftigt, findet einen Konflikt gegen den großen Nachbarn und historischen Gegner China weitaus weniger überraschend. Und selbst dieser Verweis auf „jahrhundertealte Ressentiments“ greift letztlich zu kurz. Die neuere Forschung geht dank mittlerweile zugänglicher Dokumente aus der UdSSR und China davon aus, dass der Grund für den Krieg vor allem in der chinesischen Innenpolitik lag, nämlich einer ideologischen Verhärtung in der chinesischen KP, die noch zusätzlich dadurch aufgestachelt wurde, dass die vietnamesische Regierung angefangen hatte, die chinesische Gemeinschaft aus dem Land zu vertreiben (was wiederum mehr mit deren Status als „Bourgeoisie“ zu tun hatte, als mit ihrem ethnischen Hintergrund; tatsächlich waren sehr viele der bekannten „Boatpeople“-Flüchtlinge Sino-Vietnamesen). Der politikwissenschaftliche Sammelband „The Third Indochina War“ (2006) bietet dazu haufenweise Aufsätze, falls sich jemand mit dem Thema beschäftigen möchte.

Der Ausgang des Kriegs, der sich auf die vietnamesisch-chinesische Grenzregion beschränkte, wird in beiden Ländern sehr unterschiedlich bewertet. Aus Sicht der Vietnamesen ist es ein weiterer Sieg in der Reihe der Siege gegen Franzosen und Amerikaner, während die chinesische Geschichtsschreibung erklärt, man habe sich freiwillig wieder zurück gezogen, nachdem den Vietnamesen „eine Lektion“ erteilt worden sei. Zumindest international dürfte eines relativ unstrittig sein: Der Konflikt war ein ungerechtfertigter Angriffskrieg der Chinesen.

Diesem Ereignis nun zu „gedenken“ ist in Vietnam naturgemäß eine sensible Angelegenheit. Erstens sind Kundgebungen und Demonstrationen, die nicht irgendwie von offizieller Seite initiiert wurden sowieso höchst unerwünscht. Zweitens ist alles, was mit China zu tun hat, hochpolitisch. Man verärgert den großen Nachbarn nicht gerne, erst recht nicht im Zuge des aktuellen Streits um die Seegrenzen. (Wer weiß, wie schnell so etwas wieder zu einem realen, aktuellen Konflikt führen könnte.) Gleichzeitig möchte man sich auch nicht unbedingt von China auf der Nase herumtanzen lassen, oder gegenüber der eigenen Bevölkerung diesen Eindruck erwecken. Es steht also zu vermuten, dass die Demonstration einer Gruppe von vietnamesischen Bürgern zum Gedenken dieses 35. Jahrestags von staatlicher Seite mit höchst gemischten Gefühlen gesehen wurde.

Nun melden internationale Zeitungen folgendes: Die Demonstranten, und vorneweg ein Mann namens Nguyen Quang A, werden zitiert mit den Worten, dass die Behörden eine List ausgeheckt hätten, indem sie eine Gruppe von Tänzern an den Ort der Demonstration schickten, um auf diese Weise die Kundgebung unauffällig zu unterbinden. Tango statt Trillerpfeifen.

Die Meldung wurde ziemlich weit verbreitet, von der Washington Post, über die saudische Arab News bis hin zum in Japan ansässigen Asien-Pazifik-Magazin „Diplomat. Angeblich sollen sogar chinesische Medien das Thema aufgegriffen haben, mit dem pikanten Detailunterschied, dass dort nicht erwähnt wurde, gegen was eigentlich demonstriert worden war.

Nun wäre das Muster nicht vollkommen neu. Es gibt tatsächlich bestätigte Fälle in der Vergangenheit, bei denen sich angeheuerte Personen oder Polizei in Zivil unter Demonstranten mischten, um diese entweder auseinander zu treiben, die Sache eskalieren zu lassen oder einfach irgendwie zu stoppen. Das Motiv wäre, wie geklärt, ebenfalls vorhanden.

Allerdings macht eine Sache etwas stutzig: Der Ort der Demonstration war die Statue von Hanois Stadtgründer Ly Thai To, am Hoan-Kiem-See. Dort sind Tango-Tänzer, Aerobic-Gruppen und Breakdancer ziemlich häufig, und keinesfalls jene „unübliche Erscheinung“, die die AP-Meldung (in Washington Post und Arab News) zitiert. Um genau zu sein wäre es einer der Orte in Hanoi an den ich hinginge, wenn ich zufälligerweise aus irgend einem Grund Tänzer suchen müsste. Ob die Demonstranten eventuell zum Großteil nicht aus Hanoi stammten, und dieses Detail nicht wussten, oder ob sie die Chance genutzt haben, ein bisschen internationale Publicity für ihre Sache zu erhaschen, kann ich nicht beurteilen.

Ein amerikanischer Wirtschaftsprofessor notierte jedenfalls mit sarkastischem Unterton in einem E-Mail-Diskussion: „Komme gerade vom Abendessen zurück und bin an der Statue vorbei gelaufen. Die ewig wachsamen Tänzer sind noch immer da, und wachen darüber, dass sich keine Demonstranten blicken lassen, an diesem kalten, verregneten Hanoier Abend um 9 Uhr. Und tatsächlich: Keine Demonstranten zu sehen. Genau genommen niemand zu sehen, bei dem Wetter. Der Plan der Behörden scheint ein voller Erfolg.“

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