Ersatzbespaßung

Ich hatte lange Zeit keinen Stromausfall mehr. Damit gehöre ich zu einer glücklichen Minderheit von Bewohnern in Vietnam, die in einem Stadtviertel leben, das aus irgendwelchen Gründen relativ regelmäßig Strom bekommt.

Heute morgen war es dann wieder so weit. Der Strom in unserem Gebäude, so klärt ein Aushang auf, wird von 8 Uhr morgens bis 17 Uhr abends abgeschaltet sein. Kein Internet, kein Licht, keine elektrischen Geräte. Es sagt sicherlich etwas darüber aus, wie lange ich mittlerweile schon in Vietnam lebe, dass ich das alles völlig gelassen hingenommen habe. Dann wird das Wasser für den Tee eben auf dem Herd gekocht (und der Herd ist in Vietnam selbstverständlich ein Gasherd, deswegen funktioniert er auch ohne Strom). Ich wollte zwar eigentlich zu Hause arbeiten, aber dann fahre ich halt heute ins Büro. Oder gehe in eines der Cafés in der Innenstadt und arbeite von dort aus.

Alles halb so wild.

Wenn da nicht die Lokalverwaltung gewesen wäre, die offenbar der Meinung war, wenn die armen Bewohner schon kein Fernsehen und kein Radio haben, dann ist das ja genau die richtige Gelegenheit, um sie mit revolutionärer Marschmusik, schmalzigen Heimathymnen und Lobliedern auf die Partei zu beschallen, und nebenbei noch ein paar Passagen über die korrekte Vermeidung Sozialer Übel vorzulesen – nur für den Fall dass die Bevölkerung die vergangenen Dutzende von Lese-Terminen frühmorgens um halb Sieben verpasst hat. Man weiß ja nie. Werfen Sie also bitte keinen Abfall auf die Straße, liebe Anwohner. Und jetzt Musik.

Ich bin so unglaublich gelassen, weil ich schon so lange in Vietnam lebe?

Von wegen.

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