Die Tante

Vietnamesisches Familienleben und was es bedeutet, Folge 11.345b. Diesmal: Die Tante. Eine Arbeitskollegin von mir schläft seit ein paar Tagen nicht zu Hause bei ihren Eltern, sondern bei ihrer Tante. Da wohnt sie nicht so gerne, denn die Wohnung ist direkt an der Hauptstraße, das Bett ist unbequem und  sie hat weniger zu tun. Sie hat aber keine Wahl. Denn: Der Onkel ist gerade mitsamt der Cousine eine Woche auf Urlaub, und die etwa 50-jährige Tante ist allein zu Hause.

Sonst nichts. Kein weiterer Grund. Die Tante ist allein zu Hause, und die Eltern schicken ihre Tochter zur Tante. Damit sie nicht allein zu Hause ist, und sich abends nicht langweilt. Die Tochter ist 28 Jahre alt, ist aber noch nicht verheiratet und wohnt deswegen folglich wie mehrfach beschrieben noch bei ihren Eltern.

Oder immer gerade da, wo die Eltern wollen, dass sie wohnt.

Als ich ein klein wenig erstaunt darauf reagiert habe, erklärten mir gute Freunde, dieser Vorgang sei relativ normal. „Vietnamesische Eltern langweilen sich ohne ihre Kinder“, lautete ein Kommentar. Jemand anders steuerte eine Geschichte bei von Eltern, die zum ersten Mal allein in den Urlaub an den Strand fuhren, und ihrer 25-jährigen Tochter jeden Tag Anrufe schickten, wie unglaublich langweilig es hier ohne sie wäre. Irgend jemand sagte dann noch, vietnamesische Eltern seien „unselbständig“.

Man fragt sich allerdings, wie sie ihr Leben meistern konnten, bis sie endlich alt genug waren, um Kinder zu zeugen.

One Response to Die Tante

  1. m says:

    Die Geschichte spricht nicht nur für die Familienstrukturen, sondern auch für die Abneigung von Vietnamesen, allein zu sein. Das ist offensichtlich etwas ganz furchtbares. So furchtbar, dass eine vietnamesische Universität einer deutschen Dozentin, die sie als Gast eingeladen hatte, kein Einzelzimmer in Hanoi zumuten wollten. Und sie hatten eine junge Mitarbeiterin mit Fremdsprachkenntnissen ausgewält, die die ganze Zeit bei der deutschen Spezialistin mit im Zimmer schlafen musste, damit die sich weder gruselt noch langweilt. Die deutsche Dozentin hat die ganze Zeit darüber nachgedacht, wie sie ihren Gastgebern klar machen könne, dass ihr das gar nicht recht sei. Aber ihr ist keine Begründung eingefallen, die nicht unhöflich erschienen wäre.

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