Ignoranz

Der Kellner hat das Dessert gebracht. Es ist ein Crêpe, ein Pfannkuchen. Dazu einen Löffel. Der Gast schaut irritiert, dann hält er den Löffel in die Höhe und sagt: „Knife and Fork, please!“ Messer und Gabel bitte.

Der Kellner lächelt. „No, no“, sagt er. Der Gast runzelt die Stirn: „Knife and Fork“, sagt er, diesmal etwas bestimmter und schon leicht verärgert. Der Kellner lächelt wieder: „No.“

„Warum nicht?“, fragt der deutsche Gast deutlich angesäuert auf Englisch. Der Kellner lächelt, nickt und sagt „Yes, yes!“. Bis dann schließlich ein vietnamesisch sprechender Gast am Tisch einspringt, und Messer und Gabel auf Vietnamesisch bestellt. Der Kellner lächelt immer noch, und holt das Gewünschte.

Den Rest des Abends regt sich der verprellte Gast über „die unfähigen Vietnamesen“ auf, über die Unverfrorenheit, einfach „Nein“ zu sagen, und dann auch noch zu lächeln dabei. Und dass man einfach nicht wisse, was so „in deren Köpfen abgeht“. Kurzum, richtig „ignorant“ seien die Leute hier.
Nun stimmt es in der Tat, dass Vietnam gerade im Gaststättengewerbe ein Ausbildungsproblem hat. Kellner sind günstig, es gibt viel zu tun, und „Anlernen“ ist nicht drin. Kostet viel zu viel Zeit. Learning by Doing. Die Bindung des Kellners zum Betrieb ist dementsprechend gering, vielen ist es auch nicht wirklich wichtig, ob der Gast nochmal wiederkommt. Und es herrscht eine unglaublich hohe Rotation an Personal.

Auf den Gedanken, dass ein solcher Kellner vom Land einfach schlicht kein Englisch kann, kommen deutsche Nörgler allerdings nicht. „Messer und Gabel“, sagen sie, das sei doch so einfach, das kenne doch jeder. Mal abgesehen davon, dass Messer und Gabel nicht unbedingt asiatische Bestecke sind: Hätte der Kellner auf Vietnamesisch zurückgefragt, dann hätte der deutsche Gast sicherlich auch dagesessen, und wahlweise „Ja, ja“ oder „Nein“ gesagt. Was man eben so sagt, wenn man die Worte nicht versteht.

Mit dem kleinen Unterschied, dass der Ort, an dem sich die Konversation abspielte, immer noch in Vietnam lag. Wer von beiden ist da eigentlich ignorant, wenn er die Sprache des anderen nicht spricht?

5 Responses to Ignoranz

  1. RC says:

    Sehr gut !…

  2. Martin says:

    Tja, das ist doch irgendwie immer das Gleiche…
    wobei man dem Deutschen ja noch zugutehalten muss, dass er immerhin schon auf Englisch gewechselt ist… In den Südeuropäischen Urlaubsländern hörst du solche Sätze auch, mit dem Unterschied, dass der Deutsche Deutsch spricht und vom Spanier, Italiener o.ä. erwartet verstanden zu werden. :-)
    Ist allerdings keine rein deutsche Unart…

  3. NTN says:

    Ich habe aber was anders in Mui Ne (Phan Thiet) auf einem 5-Sterne Resort erlebt. Der Deutsche trank drei kostenlose Tassen Kafee weil der Kellner jedesmal angeblich eine dreckige Tasse mitgebracht hat. Der deutsche Gast trank die erste halbe Tasse und verlangte von dem Kellner eine neue Tasse weil ein Stueckchen Grass drin war. Er trank auch die zweite Tasse auch nur zur Haelfte und verlangte die dritte Tasse weil Grass wider drin war. Bei den dritten Tasse hat er aufgestanden und nicht bezahlt. Der Kellner konnte nichts machen weil er nur „Yes“ und „No“ kannte. Zum Glueck habe ich dazwischen gestanden und versucht zu vermitteln. Die drei Tassen Kaffe wurden am Ende aber nicht bezahlt.

  4. Dom says:

    fein erzählt diese (reale) Kurzgeschichte, is sehr interessant!

  5. admin says:

    @NTN

    Mein Beispiel läuft ja eigentlich auf dasselbe raus wie bei deiner Erzählung: Eine gewisse Unverfrorenheit von Seiten der Touristen.

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