Drei Missverständnisse

In Anlehnung an dieses Blog, auf dem ich mich mittlerweile seit einigen Wochen sehr unterhaltsam über einige Missverständnisse von Deutschen über die USA einlese, kommt heute hier die Liste der aus meiner Sicht drei größten Irrtümer über das Verhältnis zwischen den USA und Vietnam. Beziehungsweise drei Dinge, bei denen man von deutschen Touristen immer ganz zweifelnd angeschaut wird, ob man noch alle Tassen im Schrank hätte.

1. Vietnam und Amerika hatten noch bis in die 40er Jahre ein exzellentes Verhältnis. Dass Ho Chi Minh 1911 seine Reise um die Welt als USA-Bewunderer startete, und in seiner Unabhängigkeitserklärung als allererstes die amerikanische zitierte, haben wir ja schon erwähnt. Hinzu wäre noch die sehr glatt laufende Kriegs-Kooperation gegen die Japaner zu nennen, und, vielleicht am kuriosesten: Das gewissermaßen erste amerikanische Opfer der Vietnamkriegs wäre wohl nicht gestorben, wenn sein Auto mit einer US-Flagge gekennzeichnet wäre.

Colonel Dewey war im Septemer 1945 der höchste US-Vertreter in Saigon, als britische Truppen von den Alliierten des 2. Weltkriegs nach Südvietnam beordert wurden, um dort nach der japanischen Niederlage die Ordnung wiederherzustellen. Zu den Einzelheiten ist irgendwann ein eigener Blog-Eintrag fällig, aber das Resultat war, dass die Briten offenkundig überfordert waren. Zwischen vietnamesischer und französischer Bevölkerung kam es zu Ausschreitungen und gegenseitiger Lynchjustiz, die Briten erklärten Kriegsrecht, übergaben in ihrer Not schließlich sogar die Polzeiaufgaben an die Japaner. In verschiedenen Stadtvierteln und auf dem Land kam es zu gewaltsamen Protesten von Vietnamesen. Besagter Dewey beschwerte sich mehrmals empört bei den Briten über deren Politik, stieß auf taube Ohren, warnte schließlich vor einem Flächenbrand in Südvietnam, und rief alle Amerikaner auf, das Land zu verlassen. Was er gleich als erstes tat, und auf dem Weg zu Flughafen an einer Barrikade erschossen wurde.

Höchstwahrscheinlich, weil man ihn für einen Briten oder einen Franzosen hielt. (Ho Chi Minh schrieb einen persönlichen Entschuldigungsbrief an Präsident Truman. Für einen Franzosen hätte er das zu dieser Zeit sicherlich nicht getan.)

2. Die Vietnamesen lieben George W. Bush. Das ist in dieser Verallgemeinerung natürlich falsch, aber insgesamt hat der gute Mann hier nach meiner persönlichen Erfahrung ein deutlich besseres Bild, als in Deutschland. Das liegt vor allem an zwei Dingen. Erstens an einer generell etwas apolitischen Grundeinstellung im Land. Weil Politik als etwas eher langweiliges angesehen wird („Wird eh alles da oben entschieden.“) und gemäß dem asiatischen Grundsatz der Nichteinmischung in die Angelegenheiten anderer Länder ist es vielen Vietnamesen erstmal grundsätzlich egal, was Bush in den USA oder sonstwo tut, solange es sie nicht persönlich betrifft. Und der Irak betrifft Vietnam definitiv nicht. Was sie stattdessen betrifft, sind Wirtschaftsverträge und diplomatische Staatsbesuche, und von beiden gab es in den vergangenen Jahren reichlich.

Zweitens, viel entscheidender: Die Vietnamesen lieben George Bush, seit er Ende 2006 zum APEC-Gipfel nach Vietnam kam. Da entdeckten vor allem viele Mütter mittleren Alters, dass dieser Mann offenbar sehr charmant aussieht, und dann auch noch so ein nettes Lächeln hat. Völlig hin und weg waren vor allem jene Mütter mittleren Alters schließlich, als George Bush sich in der vietnamesischen Nationaltracht präsentierte, dem Ao Dai [Bild: rechts Bush, Mitte Putin, links Hu Jintao]. Dazu muss man sagen, dass es bei APEC-Gipfeln üblich ist, für das Abschlussgruppenfoto die Nationaltrachten des Gastgeberlands anzulegen [hier: Chamantos aus Chile]. Man sollte dazu vielleicht auch noch sagen, dass im Alltag eigentlich kein männlicher Vietnamesen so herumläuft. Der Ao Dai ist mittlerweile fast ausschließlich ein Frauen-Kleid geworden. Was auch daran liegen mag, dass er sehr eng anliegt und einen deutlichen Bauch macht [Mitte: Bush].

Jedenfalls lebt Politik bekanntlich ja auch von Symbolen. Und seien wir ehrlich: Staatschefs, die sich in einem himmelblauen Frauenkleid präsentieren, können einfach keine schlechten Menschen sein. (Abzüge gab es für Bush dann allerdings, nachdem gerüchteweise bekannt wurde, er habe zusammen mit Putin sich des Ao Dai möglichst schnell entledigt. Ganz verübeln kann ich das den beiden allerdings nicht. Ihr Fehler lag aber wohl möglicherweise schon daran, dass die beiden sich nicht wie die meisten asiatischen Staatchefs für Gelb oder Orange entschieden haben [Gruppenfoto]. Man durfte nämlich im Vorfeld wählen. Vermutlich dachten sie bei „Blau“ aber auch an etwas seriöseres.)

3. Amerikaner werden allgemein sehr herzlich begrüßt. Und das hat, soweit ich es beobachten konnte, auch gar nichts mit falscher Freundlichkeit oder Höflichkeit zu tun. Es ist einfach so: Amerikaner kommen heutzutage entweder als Touristen oder als Investoren ins Land. Beides bedeutet a) Geld und b) Interesse am Land. Herzlich Willkommen. Zweitens folgt die Kriegsbilanz aus vietnamesischer Sicht ganz einfachen Regeln: Ihr wart die Bösen, und wir waren eindeutig stärker. Auf dieser Basis gibt es eigentlich wenig Grund, noch Ressentiments und Nachkriegsstreits zu pflegen (die es freilich auch gibt, vor allem beim Thema Agent Orange). Drittens sind mehr als die Hälfte der Vietnamesen nach Ende des Vietnamkriegs geboren. Wie ein Journalist unlängst schrieb: Für diese Generation ist B52 erstmal ein Cocktail, und kein Flugzeug. Viertens bemerke ich auch ganz allgemein in diesem Land eine unglaubliche Tendenz, nach vorne zu schauen, und gestern gestern sein zu lassen. Vielleicht auch nicht verwunderlich angesichts der Tatsache, wie rasant sich das Land allein in den letzten 20 Jahren verändert hat.

Fünftens, und nicht am unwichtigsten: Die USA sind gerade in Europa vielen Menschen suspekt, weil sie gewissermaßen „der große Bruder“ sind. Kulturell irgendwie ähnlich, aber dann doch wieder nicht. Ein ähnlicher politischer und wirschaftlicher Geschichtsverlauf, aber am Ende mit einem deutlichen Wirtschaftssieg für die Amerikaner. Und dann exportieren sie auch noch ihre ganze moderne Kultur ungefragt herüber. Irgendwie unheimlich. Am liebsten würde man sie ignorieren, aber stattdessen misst man sich ständig unwillkürlich an ihnen. Für Vietnam ist dieser „große Bruder“ eben nicht die USA – sondern China. Die sitzen nämlich direkt in der Nachbarschaft, sind eigentlich irgendwie gute Freunde, aber un-eigentlich ist es sehr wichtig, sich von ihnen abzugrenzen, weil man sonst Gefahr läuft amerikanisiert… nein: sinisiert zu werden.

Auch deswegen das unverkrampfte Verhältnis zu den USA. Im Zweifelsfall bilden sie ein sehr dankbares Gegengewicht zu China. Und Vietnam ist immer dann in seiner Geschichte besonders gut gefahren, wenn man nicht von einer anderen Macht zu abhängig war.

6 Responses to Drei Missverständnisse

  1. Winfried says:

    Dass der Vietnamkrieg ein Krieg der Amerikaner gegen die Vietnamesen war, ist ja eine westliche Perspektive. Eigentlich war es ein innervietnamesischer Krieg, wobei die Amerikaner der einen Seite massive militärische Hilfe geleistet haben. „Stellvertreterkrieg“ wäre schon wieder eine westliche Sicht.

    Aus Sicht der Machthaber in Vietnam waren ihre Gegner zuallererst die Vertreter der südvietnamesischen Regierung, Armee und der alten südvietnamesischen Intellektuellen. Da steht die Aussöhnung bis heute noch aus. Südvietnamesische Kriegswitwen bekommen nicht mal eine Witwenunterstützung.

    Den Amerikanern hat man wohl auch deshalb eher verziehen, weil schon seit zwei Jahrzehnten ehemalige Soldaten sich in Hilfsorganisationen engagieren. Wenn die grauhaarigen Männer durchs Land reisen, Buße tun und Geld mitbringen, bringt man die nicht mit dem Feindbild in Verbindung. Dass es unzählige andere GIs gibt, die anders über den Vietnamkrieg denken, weiß man in Vietnam nicht so genau.

  2. Dom says:

    schöhhn, dass es diesen überaus interessanten blog hier gibt…

  3. Alex says:

    Gerade heute habe ich einen Artikel in der NZZ (Neuen Zürcher Zeitung) gelesen das die Schweiz 5,3 Mrd. CHF in entwicklugshilfe investiert.
    Doch frage ich mich wo das Geld wieder hinfliessen mag?
    Ich denke das es doch mal an der Zeit wäre das unsere „Sozialen“ Politiker mal was gegen die Agent Orange verschutzung in Vietnam tun, wäre doch was.

  4. Ich sehe, wir verstehen uns. Weiter so, hier lese ich gerne.

  5. Hallo David,

    heute Nacht übertragen wir per Livestream einen Diskussionsbeitrag von Scot W. Stevenson (USA Erklärt).
    Vielleicht interessiert es Dich trotz der unpassenden Zeit für uns in Hanoi.
    http://blog.fdog.org/2008/09/29/livestream-wie-wahlt-amerika/

    Beste Grüße

  6. LeHang says:

    Der Vietnamkrieg entstand sich von HCM & Co in Namen des Kommunismus. Die Südvietnamesen waren nur in der Abwehr vor dem Kommunismus aus Nordvietnam, Präsident Di?m wollte doch keinen Krieg mit HCM in Nordvietnam.

    Der Vietnamkrieg eskalierte sich, weil HCM die Soldaten aus Nordvietnam schickte und in Südvietnam sollten die Soldaten aus Nordvietnam so viele Zivilisten in Südvietnam töten, damit die Amis an Moral verlieren sollten.

    Die Nordvietnamesen töteten die Südvietnamesen, die Amis töteten die Südvietnamesen. Als die Amis nicht mehr die Südvietnamesen töten wollten, zogen sie sich zurück. Aber die Nordvietnamesen töteten weiter die Südvietnamesen, obwohl die Amis nicht mehr in Südvietnam waren.

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