Laut-Sprecher

Eines der Dinge, mit denen man immer noch jeden Touristen verblüffen kann, sind die Lautsprecher in den Hanoier Straßen, die immer pünktlich um 5 Uhr nachmittags, sowie an den Morgenden plötzlich überraschend Musik und blechern-verzerrte Texte von sich geben. Informationen, mit denen man beschallt wird, ob man will oder nicht. Sonntagsmorgens um 6 Uhr will man meistens nicht.

Das finden jetzt auch immer mehr Vietnamesen so. Oder vielleicht fanden sie das schon längere Zeit so, aber immer mehr sprechen es jetzt auch aus. Die Lautsprecher stammen aus Kriegszeiten und hatten damals eine lebensrettende Aufgabe: Sie warnten vor Luftangriffen oder Bombenhagel. Und erfüllten nebenbei noch ihren Zweck für sonstige Nachrichten und muntermachende, patriotische Ansagen der Partei.

Das ist heute immer noch so, aber weil der Krieg lange vorbei ist, fangen immer mehr Menschen an, den Nutzen in Zweifel zu ziehen. Vor allem solche, die direkt neben den Lautsprechern leben. In Zeitungen oder Online-Foren häufen sich Kommentare von verzweifelten Müttern, deren Kinder anfangen zu weinen, sobald die Lautsprecher direkt neben dem Haus anspringen. Andere verweisen auf kranke Menschen, die Ruhe benötigen (etwas, das in Hanoi angesichts des Verkehrs allerdings eh schwer zu bekommen ist). Auch Politiker stimmen in den Chor der fragenden Stimmen ein.  AP-Journalist Ben Stocking zitiert in einem Agenturbericht den Vorsitzenden eines Hanoier Stadtteil-Volkskomitees mit den Worten: „Ich muss zugeben, für Leute die direkt neben den Boxen wohnen ist das eine Katastrophe. Das tut doch den Ohren weh.“

Ein weiser Mann. Zumal der Effekt der Nachrichtenübertragung mittlerweile fraglich ist. Die Zeiten, in denen die Menschen stehenblieben und den Stimmen aus den Lautsprechern lauschten, sind definitiv vorbei. Mein Eindruck ist, dass man die Geräusche allenfalls noch als Nebenberieselung im Verkehr wahrnimmt. Dabei wird konsistentes Hören schon allein dadurch erschwert, dass die Lautsprecher in Hanoi mitnichten alle dasselbe erzählen. Organisiert wird die Sache nämlich von jedem einzelnen Stadtbezirk. Das sind allein in Hanoi 577 Bezirke, die jeweils in ihrer kleinen Bezirksverwaltung (klein ist hierbei wörtlich zu nehmen, meistens sind es die Erdgeschosse der jeweiligen Vorsteher) eine Station haben, in der zweimal täglich ein Sprecher sitzt und Nachrichten verliest.

Wer also um 5 Uhr nachmittags einmal quer durch Hanoi fährt kommt in den Genuss ganz vieler verschiedener Bezirksnachrichten. Ein solcher Bezirk besteht aus ein paar tausend Einwohnern, nicht mehr. Auf die kommen dann mehrere Dutzend Lautsprecher. Und die Lautsprecher erzählen etwas darüber, dass man sich doch bitte demnächst impfen lassen sollte, dass es sich nicht schickt, im Schlafanzug auf die Straße zu gehen, oder dass man sein „spirituelles Leben“ erweitern kann, wenn man den Fernseher ausschaltet und an kulturellen Veranstaltungen teilnimmt. In einigen Bezirken werden auch die jüngsten Gerichtsverhandlungen über Mitbewohner verlesen. Dazu gibt es alle möglichen Nachrichten, die meistens vom Kultur- und Informationsministerium weitergeleitet wurden. Und Musik natürlich. Märsche, Volkslieder. Solche Dinge.
Findige Köpfe schlagen jetzt vor, man könne das doch alles wunderbar auch im Internet anbieten. Da könne dann jeder Bürger das lesen, was er lesen wolle, und werde mit anderen Dingen nicht belästigt. „Belästigt“ sagt natürlich niemand, aber das ist gemeint.

Ob diese Gedanken aufgegriffen werden, ist derzeit noch nicht raus, aber früher oder später werden wohl die Lautsprecher aus dem Stadtbild verschwinden. Es passt irgendwie nicht ganz zusammen, wenn das Kulturministerium einerseits via Lautsprecher dafür wirbt, dass die Hanoier sich den Touristen doch bitte gefälligst als „moderne Bürger“ präsentieren sollten, und dann gleichzeitig mit blechern-scheppernden Lautsprechernachrichten zum altbackenen Bild beitragen.

Ich muss allerdings auch zugeben: Irgendwie finde ich den Gedanke auch äußerst schade. Sollten die Lautsprecher verschwinden, dann verschwindet damit auch ein ganz eigenes Stück Hanoier Lebensgefühl. Auch wenn ich selbstverständlich der Meinung bin, dass das Wohl von Babys und leidenden Kranken vorgeht. Jedenfalls vor dem sentimentalen Wunsch von Touristen, echte Partei-Nachrichten aus rostigen Lautsprechern zu hören.

One Response to Laut-Sprecher

  1. daniel says:

    na also, stadtteilradio hör ich ja zum beispiel gerne. hier gibt es radio t, und das ist ziemlich gut (von radio unerhört übernehmen die auch manchmal was). aber ich nehme an die lautsprecherdurchsagen sind nicht gerade selbstverwaltet :)

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