Wie Vietnam in chinesische Hände fiel, Teil I

Wie unschwer zu erkennen ist, beschäftige ich mich gerade intensiv mit vietnamesischer Frühgeschichte. Nachdem wir jetzt also geklärt haben, wer der Urvater der Vietnamesen war, und wo Urväter herkommen, springen wir jetzt zu der ersten Person, die tatsächlich historisch überliefert ist: König An Suong (im Vietnamesischen geschrieben: Duong).

Damit beginnen wir eine Zeitspanne von etwa 200 Jahren, in denen das damalige „Vietnam“ (von Vietnam war da allerdings noch keine Rede) in die Hände der Chinesen fiel. Anschließend sollte die Herrschaft der Chinesen 1000 Jahre dauern, was ziemlich viele Spuren hinterlassen hat. Normalerweise heißt es in den meisten Geschichtsabrissen in Reiseführern oder Weltgeschichten über Vietnam, 111 v.Chr. hätten die Chinesen das damalige Gebiet erobert. Die tatsächlichen Ereignisse sind etwas komplizierter und fangen früher an. Nämlich mit An Suong.

Der übernahm seine Regierungszeit so etwa 250 v.Chr. Nur mal so kurz zum Vergleich: Rom befand sich da gerade im ersten Punischen Krieg um die Vorherrschaft im Mittelmeer, und in Griechenland und Persien blühten nach dem Tod Alexanders gerade die Diadochenreiche.

An Suong kam aus dem, was heute Südchina ist, und eroberte Vietnam mit Gewalt. Daran kann es eigentlich kaum Zweifel geben, denn die berühmteste mit ihm verbundene Legende ist jene seiner magischen Armbrust mit der Schildkrötenklaue, die 1000 Pfeile pro Schuss abfeuern konnte. Klingt nicht gerade nach einem friedfertigen Gesellen. Und bereits hier beginnt der Streit: Aus chinesischer Sicht ist An Suong damit ein Chinese, während selbst moderne vietnamesische Historiker betonen, er sei austroasiatischer Abstammung gewesen. Fakt ist jedenfalls, An Suong gilt den Vietnamesen als Teil ihrer Geschichte, und nicht als fremder Eindringling.

Das ist insofern durchaus erstaunlich, als er immerhin die legendären Urahnen, die Hung-Könige besiegte, und ihre Herrschaft beendete. Nach allem, was man heute weiß (und das ist recht wenig), regierte er aber anschließend in einem ähnlichen Stil fort, und brachte auch keine Scharen von Gefolgsleuten mit sich. Anzunehmen ist, dass er einem Adelsgeschlecht entstammte, das nach Süden floh, weil in China gerade Erbschaftskriege ausgebrochen waren. Das sollte Schockwellen ins vietnamesische Königreich Au Lac aussenden, das bis dahin relativ abgeschieden vor sich hin gelebt hatte.

Damit können wir uns im Streit zwischen China und Vietnam vorerst auf eine vorsichtige Mittelposition stellen: An Suongs Königreich zwischen 250 und 200 v. Chr. bestand nicht aus Chinesen, sondern aus einheimischen Völkern der Region. Der Herrscher war allerdings ein Fremder, der sich aber auch die Tradition der Region einließ.

Wirklich verwirrend wird es dann bei seinem Nachfolger. Der wird von den Vietnamesen Trieu Da genannt, und ist den Chinesen als Zhao Tuo bekannt. Er begann sein Leben als nordchinesischer General, und ging in den Süden, um Eroberungsfeldzüge zu betreiben. Klingt so, als komme hier endlich das Schlüsselereignis, bei dem Vietnam eindeutig chinesisch wird. Ist aber nicht so. Denn Trieu Da nutzte abermalige Kriegswirren in China, um im gesamten südchinesischen Raum einfach sein eigenes Königreich auszurufen. Ein Teil davon war das heutige Vietnam. Womit wir abermals vor der Frage stehen: Was zum Teufel war der Kerl nun? Ein chinesischer Besetzer oder doch eher ein anti-chinesischer Unabhängigkeitsheld?

Interessant sind an dieser Stelle wieder die im Volksmund überlieferten Legenden: Wir hatten ja bereits geklärt, dass König An Suong eine magische Armbrust besaß, und einen König, der 1000 Pfeile pro Schuss abfeuern kann, besiegt man nicht so einfach. Trieu Da musste sich also eine List einfallen lassen, die ich ganz am Anfang des Blogs schonmal geschildert hatte: Er ließ den magischen Mechanismus der Armbrust, die heilige Schildkrötenklaue, stehlen.

Nun ist es ja bekanntlich so: Wer Königsschwerter aus dem Stein ziehen kann, ist ein König. Und wer magische Schildkrötenklauen besitzt, ist damit irgendwie rechtmäßig auch ein König. Anders gesagt: Das Volk versucht mit seinen Legenden zu erklären, warum eine Machtübernahme zustande kommt. Auch der neue Regent Trieu Da ließ anschließend die Strukturen nämlich weitgehend unangetastet. Plötzlich war das alte Königreiche Au Lac Teil eines großen südchinesischen Königreichs, aber dem auf dem Reisfeld arbeitenden Bauern wird es egal gewesen sein. Seine Häuptlinge regierten mehr oder weniger weiter wie zuvor.

Das aufstrebende China im Norden sah das natürlich alles ganz anders, denn für die war Zhao Tuo nichts anderes als ein … heute würde man sicherlich sagen, ein Terrorist und illegaler Unabhängigkeitskämpfer. Chinas Antwort ließ also nicht lange auf sich warten.

Wir befinden uns im Jahr 200 vor Christus. Die Römer haben im Zweiten Punischen Krieg gerade Hannibal geschlagen, und beginnen jetzt, ihre Fühler nach Griechenland auszustrecken.

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