Unterschriftsreif

Wir machen demnächst weiter mit unserem Flug durch die vietnamesische Geschichte, aber um nicht immer nur mit den ganz schweren Themen zu kommen, geht es heute erstmal wieder um etwas Alltag.

Genauer gesagt geht es um Verabredungen, die zu spät kommen.

Verabredungen, die mehr als eine halbe Stunde zu spät kommen. Was, wie sie dann entschuldigend erklären, so nicht geplant gewesen sei. Eigentlich wollte die Bekannte nur noch schnell in einem Büro vorbeifahren, und dem Geschäftspartner einen Vertrag zur Unterschrift vorlegen.

Nun ist es mit Verträgen ja nicht nur in Vietnam so: Manchmal reicht nicht eine Kopie, sondern es müssen gleich mehrere sein. Für diesen Partner, und für jenen Partner, und für die Zentrale noch mal einen, und für jene Abteilung nochmal einen.

In diesem Fall waren es sieben Ausfertigungen desselben Vertrags.

Das könnte einem ja nun vielleicht in einer besonders bürokratischen Firma in Europa auch mal passieren. Wer weiß das schon. Nicht passieren aber würde vermutlich folgendes:

Der Vertrag hat 30 Seiten. Und: Jede Seite muss einzeln unterzeichnet werden.

Es ist nämlich vor allem in staatseigenen Betrieben Regel, dass nicht einfach nur am Ende eines Vertrages eine Unterschrift gesetzt wird, sondern dass jede Seite mit frischer Kugelschreiber- oder Tintenschrift verziert werden muss. Weiß der Himmel, warum. Vielleicht weil es in Vietnam schon vor dem Fotokopierzeitalter nicht unüblich war, dass gewiefte Geschäftsmänner nachträglich einfach nochmal Seiten aus Verträgen austauschten. Auch das dürfte dann wiederum erklären, warum der Vertrag gleich in siebenfacher Ausfertigung ausgestellt wird.

Wir rechnen jetzt also flugs, und stellen fest: Sieben Verträge mit 30 Seiten machen insgesamt 210 Unterschriften. Wer seinem Geschäftspartner dabei zusehen muss, wie dieser 210 Mal seinen Vertrag auf ein Stück Seitenrand kritzelt, der kommt natürlich auch leicht mal eine halbe Stunde zu spät.

Genau genommen war eine halbe Stunde unter diesen Umständen sogar erstaunlich pünktlich. Wenn man mal davon ausgeht, dass man da eine Viertelstunde Smalltalk abziehen muss, waren das ja im Schnitt 14 Unterschriften pro Minute.

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