Die Zukunft wird gut

Eine der Eigenschaften, die mir immer wieder bei vielen Vietnamesen begegnet, ist eine unglaublich positive Zukunftsgläubigkeit. „In zehn Jahren ist alles besser!“, hört man dann beispielsweise. Wahlweise auch: „In fünf Jahren wird das alles besser“ oder „in zwanzig Jahren ist das alles besser“.

Diese Sätze tauchen oft auf, wenn man sich beispielsweise über Verkehr unterhält. Oder über Umweltverschmutzung. Oder über Armut. „In zwanzig Jahren haben wir auch so einen tollen geordneten Verkehr wie in Europa!“, sagt dann beispielsweise der Gesprächspartner, und strahlt breit über das Gesicht. Zuvor hatte er sich noch aufgeregt, dass der Verkehr in Hanoi so chaotisch sei und es ständig zu Staus komme. Aber in spätestens zwanzig Jahren, wenn erstmal genug Geld da ist, und die Wirtschaft floriert, und alle Straßen breiter sind, und Hanoi eine funkelmoderne U-Bahn hat, und jeder Mensch Autos fährt, dann ist alles besser.

Das ist, einerseits, eine sehr bewundernswerte Eigenschaft. Vor allem wenn man sie mit den Deutschen vergleicht, die ja gerne mal grundsätzlich der Meinung sind, dass nächstes Jahr alles schlechter wird. Genau wie ja eigentlich dieses Jahr alles schon viel schlechter ist als noch im Jahr zuvor.

Es ist allerdings auch eine etwas beängstigende Eigenschaft, denn sie führt im Umkehrschluss dazu, dass niemand sich etwa dafür anstrengen müsste, dass es tatsächlich besser wird. Verkehrsregeln beachten? Plastiktüten sparen? Weniger Müll wegwerfen? Wozu denn, in zwanzig Jahren ist das eh alles besser. Wenn wir alle reich sind. Es stellt sich natürlich die Frage, wo in zwanzig Jahren plötzlich die Generation herkommen soll, die gesittet und regelkonform durch die Straßen fährt, wenn sie JETZT als Kind das Gegenteil lernt: Nur wer möglichst viele Regeln bricht, kommt da an, wo er hinwill.

Da ist der griesgrämige Deutsche natürlich in dieser Hinsicht einen Schritt voraus: Ohne die tiefste Überzeugung, dass die Überquerung einer roten Ampel den Untergang des Abendlands einläutet, und schon morgen ganze Städte an den Gefahren des Feinstaubs krepieren könnten, ist es natürlich auch nicht so leicht möglich, entsprechend strenge Regeln umzusetzen. Die Betonung liegt auf umsetzen, denn an Regeln und Gesetzen mangelt es in Vietnam eigentlich nicht. Offiziell ist so ziemlich alles verboten, was hier auf den Straßen passiert, und so weit ich weiß verfügt Vietnam mit über die strengsten Umweltgesetze der Welt. Es kümmert nur niemanden.

Gleichzeitig ist der Zukunftsoptimismus vieler Vietnamesen auch erklärbar, wenn man sich vor Augen hält, dass in den vergangenen 30 Jahren tatsächlich alle jeden Tag ein wenig wohlhabender wurden, und viele Probleme wie von selbst verschwunden sind. Den Entwicklungssprung, den dieses Land seit Ende der 80er gemacht hat, kann man sich als Europäer vermutlich gar nicht richtig vorstellen.

Trotzdem habe ich so meine Zweifel, ob Hanoi in 20 Jahren tatsächlich eine Art vietnamesisches Singapur geworden ist. Mit Straßen, von denen man essen könnte, auf denen der Vekehr leise und fließend hinüberrauscht, und wo alle 50 Meter eine Bushaltestelle steht, an der man per Chipkarte bezahlt. Andererseits sagen auch die Leute in Singapur, früher sei alles viel chaotischer gewesen, und sie wüssten nicht genau, was jetzt Henne und Ei sei: Kam zuerst der Wohlstand und dann erst Anstand und Ordnung? Oder kam der Wohlstand durch ein wenig mehr Anstand und Ordnung?

Die Vietnamesen glauben in der Mehrheit eindeutig an ersteres, die Deutschen würden vermutlich heftigst bei letzterem applaudieren.

Ich melde mich dann in zwanzig Jahren nochmal. Wetten werden in dieser Zeit gerne entgegen genommen.

One Response to Die Zukunft wird gut

  1. Tu says:

    Nee, ich denke gar nicht dass alles in Hanoi in 10 oder 20 jahren viel besser wird. +_+ Hoffentlich ist es nicht sogar schlechter. aber viel besser denke ich nicht.

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