Stau durch Gaffer

Das Gaffen ist vermutlich eine sehr menschliche Sache. Passiert in Deutschland auch. Man denke nur an wunderschöne Verkehrsmeldungen wie „A5 Frankfurt Richtung Darmstadt 2 Kilometer Stau durch Gaffer“. Wenn’s brennt, fährt man automatisch langsamer, um zu gucken. Wer weiß, vielleicht sind ja auch noch Feuerwehrwagen und echtes Blut zu sehen?

In Hanoi gibt es sie ebenfalls, die Gaffer. Sie versammeln sich immer dann, wenn es irgendwo richtig geknallt hat. Kleinere Unfälle sind zwar an der Tagesordnung, aber richtig blutige Zusammenstöße tagsüber in der Innenstadt eher selten. Das liegt an der recht niedrigen Geschwindigkeit der Fahrzeuge.

Sobald es aber wirklich was zu sehen gibt, stoppen alle. Das ist sehr nervig, denn dadurch verwandeln sich innerhalb kürzester Zeit die Straßen in Staus. Wenn erstmal 40-50 Motorräder rumstehen, und jeder die Hälse reckt, dann ist auch eine breite Straße schnell dicht. Erst recht, wenn sie eigentlich noch eine Gegenfahrbahn hätte.

Am Freitag ist mir genau das innerhalb von fünf Minuten zwei Mal passiert. Verwunderlich (oder auch nicht) ist dabei die völlige Ignoranz der Gaffer, was sie mit ihrer Neugier eigentlich an Verkehrsproblemen auslösen. Vieles hier ist mit dem Motto zu erklären: „Die anderen machen es ja auch, und ich als einzelner Mensch bin ja kein Problem.“

Wohlgemerkt: Es geht dabei wirklich meistens nur ums Gaffen. Erste-Hilfe-Kurse hat fast niemand besucht, teilweise werden sichtlich Verletzte auf eine Art und Weise zur Seite getragen, dass es einem bereits beim Zuschauen wehtut. Erschwerend kommt hinzu: Oft ist bei solchen schweren Unfällen auch „richtig was los“, es kommt nämlich nicht selten im Anschluss noch zu Schlägereien oder zumindest Raufereien und lautem Geschrei zwischen den Angehörigen.

Der Deutsche würde ein bisschen laut herumfluchen, und dann auf die Polizei warten, damit die Versicherung zahlt. In Vietnam hat fast niemand eine Versicherung, und die Polizei will eigentlich auch niemand rufen, das kostet nur Geld. Also wird die Sache an Ort und Stelle geregelt, und eine gehörige Portion Frust und Hilflosigkeit („Wer zahlt mir jetzt den Schaden?“ / „Wer zahlt mir jetzt das Krankenhaus?“) ist auch noch dabei.

Ich zwinge mich mittlerweile meistens, schnurstracks vorbei zu fahren. Auch wenn es was zu sehen gäbe. Erstens will man manche Dinge auch gar nicht sehen, und zweitens: Ein einzelner Gaffer ist eben doch ein Problem. Vor allem wenn es 50 einzelne Gaffer sind. Oder „zwei Kilometer“ Gaffer.

One Response to Stau durch Gaffer

  1. Christopher says:

    Genau so einen Beitrag hatte ich auch schon für meinen Blog im Kopf und nun les ich ihn hier ;)
    Meine Beobachtungen decken sich genau mit deinen.
    In Deutschland wird sich über fehlende Courage aufgeregt, aber hier gibt es sowas ja gar nicht.
    Es wird einfach nur geglotzt.
    Und wir Westler sind sowieso die größte Attraktion, es ist wie im Zoo^^

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