Friede, Freude, Frühlingsrolle

Als alter Student der Sozialwissenschaften sträuben sich mir ja immer ein wenig die Haare, wenn irgend ein Institut so etwas schwammiges messen will, wie „den Frieden“ – und dann das ganze auch noch in eine Rangliste verpackt. Genau das hat jetzt eine Initiative namens „Visions of Humanity“ gemacht. Heraus kam der Globale Friedensindex. Das ist eine Liste der „friedlichsten Länder der Welt“.

Vertreter dieser friedlichsten Länder der Welt wurden jetzt zu einem Symposium in die USA eingeladen, organisiert von der Fulbright-Stiftung und einigen weiteren Friedensinitiativen. Insgesamt waren es 18 Vertreter weltweit – und einer davon war Vietnam.

Nun muss man dazu wissen, dass Vietnam sich in der Tat selbst sehr gerne als besonders friedliches Land sieht. Hanoi trägt den Titel „Friedensstadt“. Allerdings habe ich jetzt herausgefunden, dass auch Jerusalem diesen Titel für sich in Anspruch nimmt, sowie Osnabrück (wegen des Westfälischen Friedens). Es stimmt wohl in der Tat, dass die Vietnamesen nach einem äußerst blutigen 20. Jahrhundert sehr genau wissen, wie mörderisch Kriege sind, und dass viele von ihnen so etwas sicherlich nicht noch einmal erleben wollen. Andererseits finde ich die Art und Weise, wie Krieg und Heldentaten hier in der Rückschau immer noch glorifiziert werden, nicht sonderlich friedlich.

Jedenfalls feierte Vietnam die ehrenvolle Einladung zum Friedens-Symposium mit zahlreichen Medien-Berichten und einer hellen Freude darüber, dass man eines der „friedlichsten Länder der Welt“ sei.

Vietnam kam in dem Ranking auf Platz 39.

Platz 39 von 144 ist ein guter Platz, und außerdem steht man damit sogar noch einen Platz vor Bhutan, und jeder weiß ja, dass Bhutan angeblich das friedlichste Land der Welt ist, aber es ist auch keine sonderlich überragende Platzierung. Man liegt gerade noch so im ersten Drittel.

Warum wurde Vietnam also jetzt zum Friedenssymposium eingeladen?

Weil das Symposium die Welt in Regionen unterteilt hat. Andernfalls wäre es nämlich eine ziemlich langweilige Sache gewesen. Auf den vorderen Plätzen tummeln sich Neuseeland, dann sämtliche Skandinavier dieser Erde, dann Japan, Kanada, Luxemburg, und dann kommt bald auf Platz 16 schon Deutschland (das sich seinen Platz allerdings mit Qatar teilen muss). Anders gesagt, es wuseln dort ziemlich viele Europäer herum. Das Symposium wollte aber einen weltweiten Querschnitt.

Also wurde Vietnam zum Vertreter der Region Asien.

Hoppla, wer jetzt auf die Tabelle von Asien schaut, der findet dort in dieser Reihenfolge: Neuseeland, Japan, Australien, Singapur, Malaysia, Südkorea, Taiwan… und erst an Platz 8 folgt tatsächlich Vietnam. Selbst wenn man die Ozeanier wegrechnet, ja sogar selbst wenn man sich nur auf Südostasien konzentriert, kommt Vietnam immer noch an dritter Stelle, hinter Malaysia und Singapur.

Also warum, jetzt aber wirklich, wurde Vietnam eingeladen?

Dazu holen wir ganz kurz noch einmal aus, und erinnern an einen Dilbert-Comic, in dem unser Held (für alle, die ihn nicht kennen: ein Software-Entwickler) von seinem Chef erklärt bekommt, dass man die Löhne der Firma an Tabellen von Durchschnittslöhnen gemessen habe. Das Ergebnis, sagt der Chef, sei allerdings nicht zur Zufriedenheit ausgefallen, deswegen musste man die Tabellen anpassen. Seitdem sei hieb- und stichfest belegt, dass die Angestellten in der Kategorie: „Software-Entwickler, Hausfrauen, Arbeitslose und Putzgehilfen“ überdurchschinittlich bezahlt werden.

Mit einem ähnlichen Phänomen haben wir es auch hier zu tun: Vietnam ist nicht in der Region „Südostasien“ gelandet, sondern in der Region „Süd- und Südostasien“. Dagegen ist Malaysia in der Region „Ozeanien“ gelandet. In der Region „Süd- und Südostasien“ muss sich Vietnam mit Ländern messen wie Bangladesch, Sri Lanka oder dem derzeit besonders friedliebenden Pakistan, und gewinnt diesen Vergleich spielend.

Wer sich jetzt noch für die genaue Aufschlüsselung des Friedensindex interessiert, der wird auf dieser Seite fündig, und das ist dann sogar wirklich noch das spannendste an der gesamten Veranstaltung. Hier wird nämlich (das Herz des Sozialwissenschaftlers schlägt höher) tatsächlich aufgelistet, nach welchen Kategorien man wen, warum und wie bewertete. Vietnam beispielsweise schneidet sehr gut (im Sinne von: friedliebend) ab in Kategorien wie: Niedrige Selbstmordrate, Zahl der Bewaffneten in der Bevölkerung, Waffenexporte. Die Bewertungsskala reicht übrigens von 1-5, und 5 bedeutet „schlecht“.

Weniger gefallen dürfte Vietnam der relativ hohe Wert (2,75) für „politische Instabilität“ (wobei der Sozialwissenschaftler sich auch gleich wieder kritisch fragt, wie man diesen schwammigen Begriff wohl nun gemessen hat), denn eigentlich rühmt sich das Land für seine Stabilität. Überrascht hat mich persönlich der ebenfalls recht hohe Wert (3) für die Erreichbarkeit von Schnellfeuerwaffen, denn ich hatte bislang nicht das Gefühl, dass Schusswaffen in der Bevölkerung verbreitet sind.

Wenn man mal testweise Deutschland dagegen stellt, dann schneidet Deutschland besonders unfriedlich ab in seinen Waffenexporten und außerdem in der „Fähigkeit seines Militärs“.

Wohlgemerkt, Platz 39 ist nichtsdestotrotz ein respektables Ergebnis, und man liegt noch weit vor Argentinien (66), den USA (83) oder Thailand (120). Irgendwo zwischen ärgerlich und enttäuschend allerdings ist die Art und Weise einzuordnen, wie mit diesem Ergebnis dann in der vietnamesischen Medien umgegangen wurde. Für den Titel „friedlichestes Land der Welt“ kann Vietnam jedenfalls nicht auf das Ranking verweisen.

Mal ganz abgesehen davon, dass ich solchen Rankings gegenüber ohnehin skeptisch bin, wie gesagt.

5 Responses to Friede, Freude, Frühlingsrolle

  1. Linksaussen says:

    Wie sieht es denn mit Militärparaden aus in Vietnam? Gibt es welche zu den üblichen Jahrestagen? Und gibt es einen Militärdienst mitsamt Ersatzdienst? Stelle gerade fest, daß ich davon gar nichts weiß.

    Und solche Dinge sind ja für den Militarismus in einem Land bisweilen kennzeichnender (Wenn das auch etwas anderes als „friedlichstes Land“ ist. Bevor ich einen Rüffel vom Sozialwissenschaftler bekomme)

  2. m says:

    Gibt es in Vietnam nicht auch die obligatorischen paramilitärischen Ausbildungslager für Schüler und Studenten, wie es sie in der DDR gegeben hat? Oder sind die kürzlich abgeschafft worden?
    Aber im Verhältnis zu Pakistan geht es dort natürlich sehr friedliebend zu.

  3. ngungon says:

    Es gibt sehr wenige Militärparaden, das ist eine sehr angenehme Eigenschaft des Landes. Selbst zum Nationalfeiertag gibt es nur alle fünf Jahre eine Parade.

    Militärdienst gibt es, allerdings hat der sehr viele Ausnahmen. Studenten müssen, soweit ich das verstanden habe, nicht zum Militär. Viele Bauernsöhne aber gehen flächendeckend (und gerne) dorthin, und dann dauert er stolze zwei Jahre.

    Insgesamt merkt man schon, dass das Militär hier einen wichtigen Stellenwert hat. Wenn die Kamera mal über die Nationalversammlung streift, dann fallen überall Abgeordnete in Uniform auf. Kriegsveteranen und ihre Heldentaten sind ein ständiges Thema an verschiedenen Gedenktagen. Es gibt auch zahlreiche Gedenktage, die sich auf bestimmte militärische Siege oder soldatische Opfer beziehen.

    Die militärischen Fortbildungen, die User M anspricht, gibt es ebenfalls. Nicht nur für Studenten, sondern auch für Angestellte von staatlichen Unternehmen. Da kann es dann mal sein, dass Mitarbeiter zwei Wochen fehlen, weil sie auf einem Übungsplatz Militär-Fortbildung machen. Das gilt übrigens auch für Frauen.

    Ich habe bisher wenige Frauen hier getroffen, die nicht mindestens einmal in ihrem Leben ein Geschütz bedient haben oder über die Wiese gerobbt sind.

  4. daniel says:

    gibt es denn auch ein ranking „out of area polizeieinsätze“?
    also mir fällt da spontan der hindukusch-polizeieinsatz und der piraten-polizeieinsatz ein …

  5. ngungon says:

    Weiß ich nicht, schau doch mal nach. Mir war es zu mühsam, mich da durch alle Unterpunkte zu wühlen. Ich glaube aber, es gab zumindest eine Kategorie „Konflikte zwischen 2002 bis heute“, und da schnitt Deutschland mit Bestnote „1“ ab.

    Vietnam übrigens auch.

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