Moderne Pädagogik

Die beste Unterrichtsmethode ist immer noch das Ausprobieren- und Selbermachen-Lassen. Wer ein Problem selbständig ohne Anleitung des Lehrers bewältigen muss, der hat wirklich etwas gelernt. Vietnam lamentiert ja seit einiger Zeit, dass sein Unterricht flächendeckend veraltet sei. Gerade was moderne Fähigkeiten angeht, mit denen man im Globalisierungs- und Internet-Zeitalter auftrumpfen muss.

Na also, wird sich die Vietnamesische Regierung gedacht haben, dann gehen wir doch einfach mal mit gutem Beispiel voran, und lassen unsere Jugend selber machen.

Anders ist es jedenfalls nicht zu erklären, dass seit zwei Tagen von verschiedenen Internet-Providern bestimmte Webseiten wie Facebook nicht mehr abrufbar sind. Angeblich gibt es bereits seit Ende August einen Erlass, der den Providern vorschreibt, welche Seiten sie sperren sollen. Ich habe das erst für ein aufgeblasenes Gerücht gehalten, bis sich seit zwei Tagen in der Tat die Klagen häufen, dass facebook.com nicht mehr zugänglich ist. Es macht sich jetzt die Befürchtung breit, dass bald alle Provider nachziehen könnten.

Einen anderen Grund als die oben angesprochene pädagogische Maßnahme sehe ich eigentlich nicht: Tausende von Vietnamesen werden demnächst anfangen, sich zu informieren was „Proxys“ sind, wie man sie benutzt, wo man sie findet, und wie man damit Online-Sperren einfach umgeht. Besseren Unterricht gibt es gar nicht. Nicht für die Schule, für das Leben lernen wir! Was für ein genialer Einfall!

Denn facebook hat in Hanoi mittlerweile den Status von Wochenendbeilage, Gelben Seiten und Schwarzem Brett gemeinsam. Zumindest unter Jugendlichen ist es „in“ geworden, Party-Einladungen nur noch zentral über facebook zu verschicken. Gleiches gilt für die internationale Gemeinschaft hier vor Ort. Ich bekomme nur noch vereinzelt so etwas wie E-Mails als Einladungen. Viel zu altertümlich. Eine australische Mütter verkündete nach mehreren Stunden des schweigenden Schreckens deswegen freudig: „Mein Sohn hat heute in der Schule gelernt, wie man Proxys einrichtet! Ich kann wieder auf facebook schreiben! Schule ist toll!“

Das heißt: Zwei Fliegen mit einer Klappe. Wertvoller pädagogischer Fortschritt und tatkräfte Aktion gegen Schulverdrossenheit gleichzeitig. Wer immer auf diese Idee gekommen ist, sollte sie sich fürstlich entlohnen lassen.

Im Büro wiederum läuft (oder: lief) auf jedem Rechner facebook, weil alle Mitarbeiter ganz wild nach den damit verbundenen Online-Spielen wie „Farmville“ sind, und mehr Zeit damit verbringen, sich gegenseitig ihre Gärten zu gießen, als zu arbeiten.

So gesehen könnte es also auch einen zweiten Grund für die Sperre geben: Man hat gemerkt, dass in Behörden, Büros und Ministerien zu viel Arbeitszeit verschwendet wird, und deswegen den Hahn abgedreht. Ich gebe zu, dass das Arbeitstempo bei uns sich deutlich erhöht hat, seit facebook vom Büro aus nicht mehr zugänglich ist. Bis auf weiteres habe ich meinen Kollegen nichts von „Proxys“ erzählt.

Anstelle zu gießen stöbern sie jetzt allerdings wieder auf Mode-Seiten herum. Die funktionieren noch. Aber vielleicht werden die ja dann kommendes Jahr geblockt. Guter Unterricht setzt bekanntlich auf Wiederholung.

6 Responses to Moderne Pädagogik

  1. Martin says:

    Hihi, mußte schmunzeln. Gut, dass Du so gut vernetzt bist! ;)

  2. heike says:

    jep, neben facebook sind weitere seiten teilweise gar nicht mehr zugaenglich. Die Jugend tobt sich bereits in Yahoo chat und anderen Foren aus. In jeden Falle bekommt der Beitrag aus „paedagogischer“ Sichtweise ein :-)) von mir.Bin mal gespannt wie diese Lernphase sich entwickelt.

  3. ngungon says:

    Der FTD-Artikel ist zwar witzig indem er alle möglichen sinnlosen Auswüchse von Facebook anprangert, aber ich möchte dem Autor nicht wünschen, in einem entfernten Land zu leben, und plötzlich eines der Hauptkommunikationsmittel zur Heimat gekappt zu bekommen.

    Es ist ja im Internet mit allem gleich: Zu viel ist einfach nicht gut. Zu viele Blogs lesen auch nicht.

  4. heike says:

    Hallo ngungon: lies einfach zwischen den zeilen. spassig findet das unterbinden von informationen-austausch niemand.

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