Die Bekannte

Eine junge vietnamesische Bekannte Ende 20 hat dieses Jahr geheiratet. Zur Zeit bereitet sie gerade die Scheidungspapiere vor. Ein halbes Jahr nach der Hochzeit. Der Fall zeigt leider gleich in mehrfacher Hinsicht alle möglichen Facetten, warum vieles rund um Liebe und Partnerschaft hier so schiefläuft.

Es fängt damit an, dass sie mir Anfang des Jahres erzählt hat, sie wolle diesen Mann heiraten. Auf die Frage, was denn so besonders ihm wäre, kam in etwa die Antwort: „Oh, er sorgt sehr gut für sich selbst und achtet sehr auf sich. Wenn er irgendwo hin verreist, dann packt er immer seinen Koffer selbst, und erkundigt sich auch vorher genau über den Ort, an den er hinreist.“

Das ist natürlich ein eindeutiges Plädoyer für lebenslanges Leben zusammen.

Es zeigt vor allem mal wieder: Junge Frauen Ende 20 stehen in Vietnam unter Stress. Wenn sie mit 30 noch nicht verheiratet sind, dann wird es doppelt schwer, einen Mann zu finden, weil die Schwiegereltern dann der Meinung sind, mit der Frau stimme irgend etwas nicht. Und auf die Schwiegereltern kommt es leider noch in hohem Maße an. Wie auch unsere Geschichte zeigt.

Der gute Mann hatte nämlich eine Vorgeschichte. Er war heiß verliebt in eine andere und wollte eigentlich diese heiraten. Das wusste meine Bekannte damals natürlich nicht. Seine Eltern allerdings hatten die andere Heirat verboten, weil, Achtung: Die Frau seines Herzens schon in jungen Jahren geschieden war und ein Kind hatte. Sowas heiratet man nicht, sagen Mama und Papa. Der Sohn fügt sich also, braucht jetzt aber dringend Ersatz.

Anders gesagt: Hier haben sich zwei gefunden, die ganz dringend auf der Suche waren. Wen genau man dann findet, scheint fast schon zweitrangig, hauptsache es findet sich jemand. Natürlich sah das vor der Hochzeit keiner von beiden so, das verbietet vermutlich allein die Selbstachtung.

Die Bekannte findet kurz vor der Hochzeit über die Verwicklung mit der Ex-Freundin heraus, aber will so kurz vorher die ganze Sache nicht abblasen. Außerdem schwört der Mann, mit der Ex sei alles vorbei.

Nach der Heirat findet die junge Frau plötzlich eine SMS, in der die Ex-Freundin ihr schreibt, und behauptet, der Mann liebe immer noch sie, und sie könne das auch beweisen, und außerdem sei er ständig bei ihr. Also genau die Art von Botschaft, die man drei Monate nach einer Hochzeit unbedingt bekommen will. Die Ehefrau stellt ihren Mann zur Rede, und der beschwert sich daraufhin, dass sie keine gute Ehefrau sei, und in der Ehe immer Widerworte gebe. Zur Sache selbst sagt er nichts, er streitet sie jedenfalls nicht ab, und entschuldigt sich auch nicht.

Das Ende vom Lied: Die junge Vietnamesin zieht vier Monate nach der Hochzeit aus dem Haus ihrer Schwiegereltern und ihres Ehemannes wieder aus. Ihr Vater führt ein langes Telefongespräch mit dem Schwiegersohn, bei dem der Schwiegersohn abermals vorwirft, die Tochter sei nicht gut erzogen, die gebe ja immer Widerworte. Anschließend ist auch der Vater der Meinung, dass das alles wohl zu nichts führe.

Deswegen werden jetzt Scheidungspapiere ausgefüllt.

Wohlgemerkt: Ehekrisen, Ex-Affären und getäuschte Liebschaften gibt es auch in Deutschland zu Hauf. Allerdings fehlt dort zumindest der Druck, innerhalb kurzer Zeit zu heiraten. Wäre die Hochzeit nicht gewesen, hätte man die ganze Sache wohl unter einem ganz normalen Fehlschlag abhaken können, wie man ihn eben erlebt, im Beziehungsalltag. So stehen jetzt am Ende nur Verlierer. Die junge Frau hatte Angst, zu spät zu heiraten, weil sie dann schwer vermittelbar ist, ist jetzt erst recht schwer vermittelbar, weil sie bald nicht nur über 30 sein wird, sondern auch noch geschieden. Die Schwiegereltern wollten unbedingt die falsche Heirat mit einer geschiedenen Person verhindern, und haben nun einen Sohn, der ebenfalls geschieden ist. Das ist bei Männern zwar nicht ganz so schlimm, aber es macht sie auf dem Markt auch nicht attraktiver.

Die einzigen, die sich möglicherweise freuen können, sind Ehemann und Exfreundin. Vielleicht dürfen sie ja jetzt endlich heiraten. Das hätte man natürlich alles auch einfacher haben können, und dabei deutlich weniger Menschen geschadet.

Dass ganz am Anfang dieser Geschichte ebenfalls eine Frau stand, die offenbar zu früh geheiratet und dann scheiden lassen hat (nämlich besagte Exfreundin), ist wohl nur das Ironie-I-Tüpfelchen auf der ganzen Sache.

Es unterstreicht natürlich auch, wie gesellschaftliche Regeln dazu führen, dass gewisse Probleme in einer Art Endlosschleife fortgesetzt werden.

One Response to Die Bekannte

  1. m says:

    Solche Moralvorstellungen gab es ja in Deutschland zumindest in ländlichen Regionen auch vor noch gar nicht langer Zeit. Allerdings musste eine Frau da bis 25 Jahre und nicht bis 30 Jahre verheiratet sein, um nicht als „alte Jungfer“ zu gelten und mit merkwürdigen Blicken bedacht zu werden.
    Noch meiner Mutter ist es so ergangen: Sie hatte erst mit 27 geheiratet. Als das erste Kind dann auch erst (!) über zwei Jahre nach der Hochzeit kam, fühlte sie sich weiterer Tratscherei ausgesetzt.
    Ich denke aber mal, in Vietnam dauert es länger als nur eine Generation, bis man über solche Moralvorstellungen hinweg sieht. Dazu sind die Familienbande einfach zu eng und die Unterordnung unter Alten zu tief verwurzelt.

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