Reisen bildet

Man lernt ja nie so viel über seine eigene Heimat wie im Ausland. (Wobei das überraschendste an dieser Erkenntnis möglicherweise sein könnte, dass ich Vietnam jetzt schon als „Heimat“ bezeichne.)

Ich war 10 Tage auf den Philippinen, unter anderem Freunde besuchen und an einer Hochzeit teilnehmen. Die Philippinen sind, so könnte man meinen, Vietnam sehr ähnlich. Schließlich ist es nicht weit. Ein paar Flugstunden über das Meer. In allen Geschichtsbüchern über „Südostasien“ stehen die Philippinen einträchtig neben Vietnam, Burma und Indonesien.

Ich gebe zu, ich war dann doch sehr überrascht.

Das fängt mit dem Lebensstandard an. In meiner Erinnerung lagen die Philippinen in ihrem wirtschaftlichen Wohlstand etwas oberhalb von Vietnam, mit einigen Jahren Entwicklungsvorsprung (kein Krieg), aber immer noch weit unterhalb von modernen Industrienationen wie Singapur. Das erste, was mir dann auf der Fahrt vom Flughafen zur Innenstadt passierte, war ein bettelndes Kind, das an die Autoscheibe klopfte.

Sowas gibt es in Hanoi nicht.

Vietnam ist ganz zweifelsohne arm, so arm, dass es Landstriche gibt, in denen verzweifelte Bauern Schlepper bezahlen, um sie nach Europa zu bringen. Aber in Hanoi sieht man keine Armut. Dafür gibt es sicherlich eine Reihe von Gründen und einer ist auch, dass Bettler nicht erwünscht sind, aber viel entscheidender ist nach meiner Beobachtung die Tatsache, dass Arbeitslose oder schlecht bezahlte Arbeiter oft „zurück aufs Land“ gehen, um dort der Familie zu helfen, oder sich mit durchfüttern lassen. Eine Tendenz, die gerade auch in der Wirtschaftskrise verstärkt aufgetreten ist, was zu dem Paradox führte, dass plötzlich vietnamesische Fabriken mitten in der Krise nach Arbeitern suchten (und ihre Löhne zähneknirschend wieder anpassen mussten).

Vielleicht ist Hanoi auch einfach nicht so attraktiv wie Manila, und zieht weniger Menschen an, die hoffen, dass sie „irgendwie“ in der Großstadt ihr Glück machen können.

Fakt ist, Manila wirkte erschreckend arm. Menschen schlafen auf der Straße oder am Hafen, Seitengassen wirken verdreckt. Kinderbanden und Prostitution waren offen zu sehen. Das war das eine Manila. Das andere begegnete mir am zweiten Tag, und es bestand aus marmorgekachelten Einkaufszentren, in denen Armani neben Zara lag, Polizisten mit Sturmgewehren die Handtaschen durchsuchten, und sich Bewohner tummelten, die nach Aussage meiner philippinischen Freunde sich „zum Shoppen schick machen“.

Von dieser Glitzerwelt mit ihrem Warenangebot ist Vietnam noch sehr weit entfernt. Zwar fahren auch auf Hanois Straßen die Porsches herum, aber irgendwie hat man immer den Eindruck, dass selbst die vietnamesischen Neureichen ihre Anzüge noch beim Schneider um die Ecke machen lassen, und sie nicht bei Gucci kaufen, einfach weil es gar nicht genug Auswahl gibt, auch wenn sich das langsam ändert.

Eines der großen Probleme des „Südostasiatischen Staatenverbands“ ASEAN ist die große Diskrepanz der politischen und wirtschaftlichen Systeme und Entwicklung. Unter den 10 Mitgliedsstaaten findet sich wirklich alles, von der Monarchie über junge Demokratien und Militär-Juntas bis hin zu sozialistischen Staaten. Genaus weit klafft auch die Einkommensschere zwischen Singapur und Laos. Was das aber in der Realität bedeutet, das muss man sich wohl ansehen.

Zahlen und Daten können das einfach nicht ausdrücken.

One Response to Reisen bildet

  1. florian says:

    Ja, die Philippinen sind schon sehr anders als der Rest von SO-Asien (den ich kenn). Mir kam das Land vor wie aus eine Kreuzung von SO-Asien und Lateinamerika vor. Wie viele Länder in Lateinamerika wird das Land von einer Handvoll stinkreicher Familien beherrscht, denen alles gehört, denen es gut geht, und denen recht wenig an einer Verbesserung der Lebensverhältnisse der bettelarmen Bevölkerungsmehrheit liegt…

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