Asiatisches Domino

Die Domino-Theorie hat in der Liste der „Berühmten Ideen der Weltgeschichte“ nicht unbedingt den besten Ruf. Die Vorstellung, dass die USA den Krieg in Vietnam um jeden Preis gewinnen müssen, weil ansonsten alle umliegenden Länder wie Domino-Steine „kippen“ (also in die Hände kommunistischer Parteien fallen), liegt heute mehr oder weniger auf dem Schrotthaufen der Geschichte.

Sie gilt entweder als halbseidener Vorwand der USA für den Krieg, oder, im besten Fall, zumindest als historisch widerlegt. Schließlich gewann Nordvietnam 1975 den Krieg, und Domino wurde trotzdem nicht gespielt. Thailand, Malaysia, Indonesien und Singapur blieben ohne kommunistische Aufstände.

Dabei wird aus westlicher Sicht, wo man ja generell mit Vorliebe geschichtliche Nabelschau beschreibt, und die meisten Ereignisse aus rein nationaler Perspektive untersucht, gerne übersehen, dass die Idee auch und gerade in Asien weit verbreitet war. Einer der größten Verfechter der Domino-Theorie war Lee Kuan Yew. Der Mann ist ziemlich unverdächtig, willenlos amerikanische Propaganda nachzuplappern, denn Lee Kuan Yew ist derjenige, der mit sehr viel Durchsetzungsvermögen, politischem Geschick und analytischem Scharfsinn Singapur zu dem machte, was es heute ist. Lee war von 1959 bis 1990 Premierminister Singapurs und zieht auch heute noch die Fäden. Er gehört zur Gruppe jener asiatischen Politiker, die sich in den 90er Jahren energisch vom Westen absetzten, und stattdessen einen „asiatischen Weg“ postulierten.

Der durchaus rücksichtslose, zupackende Politiker hat auch im eigenen genügend Kritiker, und man kann ihm so einiges vorwerfen, aber nicht, dass er dumm oder irgend jemandes Marionette wäre.

Warum also glaubte Lee Kuan Yew an die Domino-Theorie? Dazu sollte man sich ins Gedächtnis rufen, wie die Situation in Südostasien in den 50er und 60er Jahren aussah. Kommunistische Bewegungen gab es in fast allen Ländern, am stärksten in Malaysia als auch in Indonesien. Noch 1967 erklärte Lee im Gespräch mit US-Minister Dean Rusk: „Wenn sich die USA aus Vietnam zurückziehen, dann wird es in spätestens zwei Jahren Kämpfe in Thailand geben, kurz darauf in Malaysia, und in drei Jahren hänge ich aufgeknüpft auf einem öffentlichen Platz.“

Ob diese Einschätzung realistisch war, lassen wir hier mal außer Acht. Tatsache war, dass die südostasiatischen Länder den Kommunismus als echte Bedrohung wahrnahmen. Man darf davon ausgehen, dass solche Meinungsäußerungen in den USA sehr ernst genommen wurden, schließlich handelte es sich hier um Gesprächspartner „die es ja wissen mussten“. Von Kissinger ist bekannt, dass er großen Wert auf Lees Meinungen legte. Offiziell übrigens blieb Singapur neutral, das größte Zugeständnis an die USA war, dass man kleineren Kontingenten von Soldaten erlaubte, in Singapur zum „R&R“ zu landen, zum „rest and recreation“, also Urlaub.

Das alles heißt übrigens auch nicht, dass Lee Kuan Yew die USA in all ihren Plänen unterstützte. Das konkrete taktische Vorgehen, vor allem die Bombardements, empfand er als gefährlich und unnötige Eskalation. Den Umgang mit den südvietnamesischen Regierungen geißelte er als töricht. Aus seiner Sicht wäre es das erfolgversprechendste gewesen, im Süden eine feste zivile Regierung aufzubauen, anstelle auf Militärregierungen zu setzen.

Überhaupt wäre es ihm lieber gewesen, die USA hätten „die Linie in Thailand gezogen“, und nicht Vietnam zum entscheidenden Schlachtfeld erkoren. Gleichzeitig aber war er einer der energischsten Verfechter vor einem zu frühen Abzug. Der Krieg, argumentierte Lee, hatte durch diese Entscheidung der USA, längst eine symbolische Bedeutung erreicht. Ein überstürzter Abzug wäre eine Niederlage, Durchhaltevermögen dagegen signalisiere Entschlossenheit und gebe den anderen südostasiatischen Staaten Zeit zur Entwicklung. „Wenn Südvietnam in 20 Jahren kommunistisch wird, dann spielt es keine Rolle mehr“, sagte Lee Kuan Yew 1967. Diese Sichtweise behielt er auch nach 1975 bei. In ähnlicher Weise empfahl der den USA, jetzt in Thailand Stärke zu demonstrieren. „Wenn [Vietnam] Schwäche wittert, dann werden sie eine große Anzahl an Pathet Lao [= laotische Widerstandskämpfer unter kommunistischer Führung] nach Thailand schicken.“

Lee Kuan Yew war vergangenes Jahr als Ehrengast in Vietnam. Auf beiden Seiten wurden sehr viele nette Sachen über das jeweilige andere Land gesagt. Warum auch nicht: Singapur ist heute als eines der reichsten Länder der Erde nicht nur das wirtschaftliche Vorbild der Region, sondern für viele Vietnamesen auch ein interessantes politisches Vorbild. Sie beobachten sehr interessiert, wie hier eine starke Einparteienherrschaft funktioniert und sowohl politisch als auch wirtschaftlich erfolgreich ist. An der Regierungsspitze sitzt heute übrigens Lees Sohn. Lee selbst bekam einen eigens für ihn geschaffenen Posten als „Minister Mentor“.

Mehr Informationen zum Thema: Ang Cheng Guan: „Singapore and the Vietnam war“, Journal of Southeast Asian Studies, 40 (2), Seite 353-384. 2009.

One Response to Asiatisches Domino

  1. susi says:

    hallo! sehr interessanter artikel. alles was die weltgeschichte betrifft, ist für mich von interesse.

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