Aus der Zeitung

Hier mal ein paar aktuelle Beispiele dafür, dass vietnamesische Medien sich durchaus handfest in gesellschaftliche Debatten einmischen oder sie auch anstoßen können, wenn sie wollen.

In diesem Artikel hier beschwert sich ein Autor über die Baupläne für das Stadtviertel rund um den Hoan-Kiem-See, das Herz von Hanoi. Der See ist auch bekannt als der „See des zurückgegebenen Schwertes“, weil hier nach der Legende König Le Loi sein magisches Schwert an die Schildkröte zurückgeben musste. Deswegen der Titel: „See des Schwertes kommt unter das Schwert“. Der Autor beschwert sich darüber, dass die Stadtverwaltung offenbar der Vietnam Electrical Equipment Corporation erlauben will, rund um den See Einkaufszentren, Hotels und Bürohäuser zu bauen. Nicht gerade passend für das romantische und historisch anmutende Herz der Stadt, heißt es in dem Artikel, aber solche Überlegungen seien machtlos gegen „die Gier, die von Tag zu Tag wächst“.

Ironischerweise hatte die Stadt in der Tat im vergangenen Jahr einen Stadtplanungs-Wettbewerb ausgerufen, der teilweise faszinierende, wenn auch bisweilen unrealistische Ideen hervorbrachte. Geworden ist aus der Sache offenbar nichts. (Es sei noch nebenbei erwähnt, dass der Autor den etwas seltsamen Vergleich zieht, auch andere Städte schützten ihr historisches Zentrum, beispielsweise die Seine in Paris, wo neben Notre Dame und dem Elysee-Palast kein Hochhaus stünde. Das letzte Mal als ich in Paris war, lag der Elysee-Palast ein ganzes Stück vom Seine-Ufer entfernt, unter anderem getrennt durch eine kleine Gasse namens Champs Elysee, aber vielleicht ist er ja seitdem umgezogen).

Mit einem ganz anderen Thema, das gerade Deutschen vielleicht etwas seltsam vorkommen mag beschäftigt sich dieser Artikel: „Warum sind Vietnamesen nicht stolz auf ihr Land?“, fragt der Journalist provokant. Eine Provokation ist das deswegen, weil die meisten Vietnamesen natürlich spontan protestieren und erklären würden, sie seien sehr wohl sehr stolz auf ihr Land. Allein schon die ganzen Kriegsgeschichten und so… Wenn das aber so sei, fragt der Autor, warum hören die Vietnamesen dann nicht auf, Müll auf die Straße zu werfen, zu spucken, zu fluchen, sich öffentlich zu betrinken, zu streiten, Energie zu verschwenden, zu schmuggeln und korrupt zu sein? Ein Appell an höhere moralische Instinkte, der höchstwahrscheinlich wenig nützen wird, aber ein interessanter Ansatz allemal.

Und hier schließlich beschwert sich ein Kommentator über die Tatsache, dass Vietnam zwar der größte Investor in Laos ist, und die Vietnamesen die größte Expat-Gemeinde in Laos stellen – aber die Geschäfte und Läden in Laos voll sind mit chinesischen und thailändischen Produkten. Vietnamesische Waren? – Fehlanzeige. „Chinesische Produkte sind einfach billiger und schöner“, wird eine Vietnamesin in Laos zitiert, während ein anderer Vietnamese sich beschwert, wenn er bestimmte Dinge bekommen wolle, müsse er sie aufwändig aus Saigon importieren.

Das alles sind nun nicht unbedingt revolutionärgefährliche Ideen, der letzte Artikel passt sogar wunderbar zur derzeitigen Regierungskampagne „Vietnamesen kauft vietnamesische Produkte!“ (die heißt wirklich so, die Vietnamesen hatten kein Drittes Reich, das ihnen einen solchen Slogan austreiben hätte können), mit der man das Handelsbilanzdefizit verringern will. Trotzdem sind es, wie ich finde, ganz ansprechende Beispiele dafür, dass auch in Vietnam durchaus pfiffige Kommentare zu finden sind – eine Tatsache, die so mancher Ausländer, der nur die dröge und agenturlastige Vietnam News zu Gesicht bekommt, schnell übersieht.

Es ist wohl allerdings kein Zufall, dass alle drei Artikel aus der Thanh Nien stammen, eine der progressiveren Zeitungen in Vietnam.

Und wo wir schon bei der Presseschau sind, hier nur kurz ein Verweis auf zwei andere Themen: „Escaping a Cambodian Brothel“ erzählt aus der Ich-Perspektive einer jungen Vietnamesin, die sich unter falschen Versprechungen nach Kambodscha hat locken lassen. Der Artikel schafft es auf wie ich finde faszinierende Weise, die einfache Sprache der Erzählerin beizubehalten, und trotzdem eine Menge an Hintergrund zu liefern (keine saftig-vulgären Details übrigens, die junge Frau hatte offenbar Glück im Unglück und wurde von einer Polizei-Razzia erwischt, bevor irgend etwas passierte… sagt sie zumindest).

Und schließlich hat heute in Vietnam das Gipfeltreffen des Verbands der südostostasiatischen Staaten ASEAN begonnen. Der vereint zehn südostasiatische Länder (also eigentlich alle, bis auf Osttimor), hat seit vergangenem Jahr sogar eine Charta, und möchte gerne eine Union werden, so wie die EU, nur anders. Nämlich unter anderem, indem sich niemand beim anderen einmischt, und alle Entscheidungen immer einstimmig getroffen werden. Das Wunder soll schon 2015 geschehen. Hier ein paar Vorberichte zum Gipfeltreffen: Einmal mit Fokus auf die Finanzpolitik, und einmal mit Fokus auf das Sorgenkind der Gruppe, Myanmar, das von einigen anderen Mitgliedern (Indonesien, Thailand) gar nicht geschätzt wird, und außerdem die internationale Diplomatie erschwert, weil wichtige Partner wie die EU und die USA nicht mit Myanmar reden wollen, nur… da ist halt diese Sache mit dem Nichteinmischen.

Achso, und brandneue Meldung übrigens: Thailand reist ohne seinen Chef an, der muss in Bangkok bleiben, weil da gerade mal wieder Revolution geprobt wird.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert