Kulturelle Unterschiede

Der unter den in Hanoi lebenden Ausländern verbreitete Witz lautet, dass nach 21 Uhr auf sämtlichen Feiern schlagartig alle Vietnamesen nach Hause gehen. Darin steckt ein Kern Wahrheit: Hanoier gehen früh nach Hause (sie stehen ja auch früh auf), und eine zünftige Feier beginnt hier normalerweise schon gegen 18 Uhr, und endet dann irgendwann vor 22 Uhr. Zumindest wenn es eine öffentliche Feier ist. Privat ist das teilweise noch etwas anders.

Die deutsche Wirtschaftsdelegation, die Anfang November nach Hanoi kam, wurde mit diesem Phänomen auf eindrucksvolle Art und Weise konfrontiert. Zwei Tage hatten die Unternehmer aus Deutschland nur in Vietnam. Dicht gedrängtes Programm. Ministertreffen hier, Baustellenbesichtigung dort, und so weiter. Gleich am Ankunftsabend: Deutsch-vietnamesisches Unternehmertreffen. Eine beliebte Veranstaltung, die auch immer ausführlich in den Nachrichten gesendet wird („Vietnamesische Unternehmer haben Unternehmer aus X getroffen.“ / „Anschließend fand noch ein vietnamesisch-[hier Land einfügen] Unternehmerforum statt.“).

Das bedeutete: Man traf sich zum Essen. Das Essen wurde serviert, nicht als Büffet, sondern als Mehrgängemenü. Zwischen den Gängen präsentierten ein deutscher und ein vietnamesischer Unternehmer ihre Projekte. Das mit dem fehlenden Büffet war der erste Fehler, denn dadurch blieben die Tische statisch, und irgendwie sortierten sich erstmal Deutsche zu Deutschen und Vietnamesen zu Vietnamesen. Das mit den Reden war der zweite Fehler, denn es zog das Essen in die Länge. Einige Unternehmer machten es auch gleich wie bei den Hochzeiten hier üblich: Sie aßen und redeten einfach während der Vorträge weiter.

Das alles dauerte dann bis etwa 21 Uhr, als endlich das Dessert verputzt war. Anschließend bestellten die deutschen Unternehmer eine weitere Runde Getränke, standen von ihren Tischen auf, und wollten sich jetzt endlich unter die vietnamesischen Unternehmer mischen.

Die vietnamesischen Unternehmer standen ebenfalls auf. Nickten höflich den Umstehenden zu, und gingen heim. Nach zehn Minuten war der komplette Saal halb leer, übrig blieben nur verdutzte deutsche Unternehmer.

Nachdem ich jetzt weiß, was sich hinter den ewig wiederkehrenden Nachrichtenmeldungen von „Vietnamesisch-[hier bitte Land einsetzen] Unternehmensforen“ verbrigt, zweifle ich noch ein wenig mehr als vorher, ob so etwas tatsächlich nachrichtenwürdig ist.