Karpfen und Könige

Ich habe eine Fisch-Geschichte versprochen. Leider musste ich heute für das Radio arbeiten, und habe deswegen Millionen von Vietnamesen verpasst, die an den nächstgelegenen See pilgern, und einen Karpfen ins Wasser kippen.

Der Hintergrund ist in etwa folgender: Die Heiligen der Küche, auch „Küchenkönige“ genannt, fliegen heute in den Himmel, und berichten über die guten und schlechten Dinge des Haushalts jeder Familie im vergangenen Jahr. Wie ein Kulturwissenschaftler heute bei uns im Radio richtig sagte: „Von hier bis zum Himmel, das ist ziemlich weit. Deswegen brauchen die Küchenkönige ein Transportmittel.“

Das Transportmittel ist der Fisch. Genauer: Der Karpfen. Karpfen bekommen, wenn sie alt werden, diese langen, feinen Schnurrbärte, die entfernt an Drachen erinnern. Vietnamesen glauben deswegen, dass Karpfen sich in Drachen verwandeln können.

Daraus entwickelte sich folgende Tradition: Am Tag der Küchenkönige setzt man Karpfen frei, damit die Heiligen auch in den Himmel kommen, um über die Familie zu berichten. Ob man schlechte Berichte dadurch verhindern kann, dass man KEINEN Karpfen freisetzt, und die armen Küchenkönige dann zu Fuß in den Himmel wandern müssen, konnte mir niemand erklären.

Das mit dem Freisetzen ist wörtlich zu nehmen: Zahlreiche Vietnamesen haben heute Morgen einen Fisch auf dem Markt gekauft, und ihn am Nachmittag zum nächsten See geschleppt und dort freigesetzt. Voice of Vietnam hat gemeldet, dies sei nicht nur „ein schöner kultureller Brauch, sondern mache auch alle, darauf aufmerksam, dass sie sich um die Natur kümmern sollten.“

Ich male mir gerade aus, wie deutsche Naturschützer wohl die Tatsache kommentieren würden, dass ein Karpfen stundenlang in einer Plastiktüte gefangen gehalten wird, bevor er in einen See geschmissen wird. Nach guter alter vietnamesischer Pragmatik fliegt die Plastiktüte übrigens gleich hinterher. Es gibt dann Putzkolonnen, die die Tüten aus den Teichen fischen.

Eine weitere ungeklärte Frage ist: Was passiert mit hunderttausenden von Karpfen in einem See, in den sie eigentlich nicht gehören?

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