Kochen und schrumpfen

Es gibt gleich eine ganze Reihe von Geschichten im Vietnamesischen, die mit Essen zu tun haben. Eine besonders schöne ist die Geschichte von der Frau und dem schrumpfenden Essen. Vor allem stellt sie den deutschen Hörer mal wieder vor die Frage, ob im Deutschen ein bestimmtes Wort fehlt (so wie es zum Beispiel beim Gegensatzpaar hungrig/durstig kein Partnerwort für satt/? gibt). Dazu gleich mehr.

Die Geschichte handelt von einer jungen Frau, die nicht kochen kann. Im traditionell eingestellten Vietnam gewissermaßen eine Todsünde. Wir begegnen der Frau am Anfang der Geschichte dann auch in der schlimmstmöglichen Situation: Sie hat gerade geheiratet, sprich, sie ist gerade in das Haus ihrer Schwiegereltern eingezogen. Die Schwiegermutter versucht nun zu retten, was zu retten ist, und will der jungen Frau das Kochen beibringen.

Sie fängt deshalb sehr simpel an: Gemüse kochen. Topf mit Wasser, Gemüse rein, warten, fertig. Sagt vermutlich einiges darüber aus, auf welchem Niveau die Schwiegermutter die Kochkünste ihrer Schwiegertochter vermutet. Die Tochter tut, wie geheißen, und als das Gemüse eine Zeitlang kocht, stellt sie fest, dass das Gemüse… ja, wie sagt man das nun genau… geschrumpft ist? Eingegangen ist? Also dieser typische Effekt, dass man einen riesigen Haufen grüner Blätter ins Wasser oder in die Pfanne schmeißt, und nach einiger Zeit ist das Volumen deutlich kleiner. Wir einigen uns jetzt mal auf Schrumpfen. Die Tochter, die offenbar nicht nur noch nie in ihrem Leben gekocht hat, sondern auch noch nie einen Topf mit Gemüse gesehen hat, fängt an, bitterlich zu weinen.

Bis die Mutter in die Küche gestürmt kommt, sich verdutzt die Situation erklären lässt, und ihr dann lachend erklärt, das sei doch alles ganz normal, Gemüse schrumpfe nun mal eben in der Pfanne (oder dem Kochtopf). Soweit, so gut. Erster Teil des Kochkurses überstanden. Am nächsten Tag wird es dann eine Stufe anspruchsvoller: Die Tochter soll fünf Eier kochen. Wasser aufsetzen, Eier rein, warten, fertig.

Die Tochter tut wie geheißen (und die Mutter scheint abermals die Küche zu verlassen, offenbar eine sehr beschäftigte Schwiegermutter, so ein Ei dauert ja eigentlich nicht allzu lange). Nachdem die Eier kochen stellt die Tochter fest: Hm, diesmals sind es immer noch genauso viele wie vorher. Also isst sie schnell zwei Eier auf. Schwiegermutter kommt zurück, fragt erstaunt, wieso aus den fünf Eiern denn plötzlich drei Eier geworden sind, und die Tochter antwortet…

… ja, und hier versagt dann leider die Pointe im Deutschen. Die Tochter antwortet: „Die Eier sind geschrumpft.“ Nein, antwortet sie natürlich nicht, denn das würde im Deutschen ja keinen Sinn ergeben, denn sie sind ja nicht geschrumpft, sie sind ja nur weniger geworden. „Die Eier sind weniger geworden“ ist aber auch keine gute Pointe, weil das Gemüse vorher ja eben nicht weniger geworden war. Nur geschrumpft.

Wir stellen also fest: Im Gegensatz zum Vietnamesischen gibt es im Deutschen kein Wort, das in diesem Fall das Verringern eines Lebensmittels durch Kochen exakt beschreibt.

Und die Moral von der Geschicht: Wer nicht weiß, wie man Gemüse kocht, der sollte möglichst vermeiden, sich in eine vietnamesische Familie einzuheiraten.

6 Responses to Kochen und schrumpfen

  1. Gaby says:

    Sehr schöne Geschichte!!

  2. shiro says:

    Das finde ich auch. Ich genieße es sehr deine Geschichten zu lesen

  3. Heike says:

    Das mit dem Schrumpfen/Verschwinden stimmt! Passiert auch ohne Kochen gerade täglich im Osternest meiner Tochter.

  4. Tim says:

    Auf Deutsch würde ich den Begriff „reduzieren“ benutzen um die beiden Vorgänge zu erklären. Bei dem Gemüse wird die Masse reduziert und bei den Eiern die Anzahl.

  5. Tim Frogier says:

    Auf deutsch würde ich die beiden Vorgänge mit „reduzieren“ erklären. Bei dem Gemüse wird die Masse reduziert, bei den Eiern wiederum die Anzahl.

  6. ThomasCrown says:

    Spinat und ähnliches lässt man zusammenfallen.

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