Krank im Büro

Auffällig am vietnamesischen Arbeitsalltag ist unter anderem, wie viele Menschen sich krank ins Büro schleppen. Stark erkältet, fiebrig, hustend… nicht selten kurieren Menschen hier ihre Krankheit im Büro aus. Oder eben auch nicht – so ganz wird man den Verdacht nicht los, dass eine Menge an Krankheiten auch einfach verschleppt werden. Offiziell gibt es zwar in vielen Büros und Betrieben sehr wohl die Möglichkeit, sich vom Arzt einen Attest zu besorgen, in der Realität aber nimmt das, abgesehen von wirklich gravierenden Krankheiten, kaum jemand wahr.

Das passt auch zum generellen Umgang mit Krankheit, die hierzulande meist mit Hausmitteln gepflegt wird, weil der Weg zum Arzt viel Geduld und nicht selten auch eine Stange Geld erfordert, was man alles erst dann auf sich nimmt, wenn es wirklich nicht mehr anders geht.

Die Idee, bei einer fiebrigen Erkältung mal einfach wenigstens einen Tag zu Hause zu bleiben, um so den Heilungsprozess zu beschleunigen (und außerdem nicht eventuell die Kollegen gleich noch mit anzustecken), erscheint auffallend vielen Menschen hier sehr fremd. Das kann man einerseits als Arbeitseifer loben. Vielleicht ist es aber auch ein in manchen Fällen falsch gerichteter Eifer, der mehr auf Quantität (Erscheinen am Arbeitsplatz) als auf Qualität (Arbeit) setzt. Und möglicherweise ist es auch gar nicht wirklich Eifer, sondern einfach gesellschaftliche Konvention. („Ich kann nicht fehlen.“)

Eine Bekannte von mir hustet seit zwei Wochen, sie schläft schlecht, sie fühlt sich schlapp. Sie war nach zwei Wochen schließlich beim Arzt, der ihr Antibiotika verschrieben hat. Eine Stunde später saß sie wieder am Büroschreibtisch. Erst am Tag darauf entschloss sie sich, einen Tag zu Hause zu verbringen. Zu Hause sind, wie in Vietnam üblich, die Schwiegereltern, und außerdem die kleine Tochter. Die Bilanz fiel am Abend folgendermaßen aus: Die Tochter turnte die ganze Zeit herum, schrie, wollte dieses und jenes von Mama, die Schwiegermutter stritt sich laut mit ihrem Ehemann, kam dann zur Schwiegertochter, um bei ihr ihre Sorgen auszuschütten. Außerdem musste die junge Frau noch hier und da im Haushalt aushelfen, dann kamen noch Verwandte zu Besuch, und abends war der Ehemann unzufrieden.

Am nächsten Tag saß sie wieder im Büro. Immer noch krank und schlapp und unausgeschlafen.

„Hier im Büro kann ich deutlich besser entspannen und mich auskurieren, als zu Hause“, sagte sie. Es klang sehr entschieden.

One Response to Krank im Büro

  1. yeuem says:

    Krank im Büro ?
    — NEIN —
    DAS ist life – das reine Leben in Viet nam

    Am Sonntag vor dem Musikprogramm der VOV5 fehlt was
    DEINE gesprochenen Beiträge – also dieser hier

    DANKE für den Eintrag

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert