Tiere, Krieg und Fleisch

„In vietnamesischen Städten gibt es fast keine Tiere. Das liegt daran, dass die Vietnamesen alle Arten von Tieren essen. Fleischkonsum macht gewalttätig. Deswegen war Vietnam in viel mehr Kriege verwickelt, als zum Beispiel die buddhistischen Nachbarn Laos und Kambodscha, in denen überwiegend vegetarisch gegessen wird.“

Diese wilde Aneinanderreihung von Thesen vertritt der amerikanische Journalist Joel Brinkley in einer Kolumne für die Chicago Tribune. Die ineinanderverschachtelte Logik der einzelnen Sätze ist, um es freundlich zu sagen, haarsträubend. Das ist umso ärgerlicher, als das Thema (oder besser: die verschiedenen Themen) durchaus einige Ansatzpunkte enthalten, über die sich eine tiefere Betrachtung lohnen würde: In der Tat gibt es zum Beispiel erstaunlich wenig Vögel in vietnamesischen Städten (was aber möglicherweise mehr mit dem unbedachten Umgang mit Pestiziden zusammenhängt, als mit der Vorstellung, Vietnamesen schießen die Tauben von den Bäumen), und in der Tat ist der grundsätzliche „Hunger“ (denn meistens geht es dabei nicht um Hunger, sondern um die Gier auf angebliche Spezialitäten) auf alle Arten von teilweise sehr seltenen Tieren ein Problem. Allerdings kein rein vietnamesisches.

Der Artikel hat bereits den Unmut diverser Kreise von englischsprechenden Ausländern in Vietnam (und auch außerhalb von Vietnam) erregt, und ich prophezeie mal, dass er demnächst auch in vietnamesischen Medien für Wirbel sorgen wird. Früher oder später finden nämlich gerade die hanebüchensten Geschichten oder Kommentare über Vietnam ihren Weg in vietnamesische Medien. Das passiert gerne mal mit ein paar Tagen oder Wochen Verspätung, und betrifft leider sehr selten die leisen, nachdenklichen, wertvollen Kommentare ausländischer Beobachter (von denen es zugegebenermaßen auch nicht sonderlich viele gibt), sondern fast immer die besonders skurrilen. Erinnert sei an die Debatte eines Touristen, der in hochaufgeregtem Ton erklärte, alle Vietnamesen seien Gauner.

Ich fürchte also, wir bekommen die Fleisch-gleich-Krieg-Debatte bald auch auf Vietnamesisch. Interessanterweise gibt es gerade unter vietnamesischen Buddhisten (und offenbar auch unter Hinduisten) in der Tat die weitverbreitete Ansicht, Fleisch mache aggressiv. Ganz allgemein wird verschiedenen Speisen hierzulande ja ein direkter Einfluss auf den Charakter zugesprochen: „Kalte“ Speisen beruhigen, scharfe Gewürze steigern die sexuelle Lust, und so weiter.

Wissenschaftlicher Überprüfung hält der Thesenwirrwarr von Brinkley freilich nicht stand. Ob Fleisch tatsächlich aggressiv macht, konnte noch in keiner einzigen Studie jemals belegt werden, und die einzige halbwegs valable Studie, die testen wollte, ob der Anblick von Fleisch aggressiv mache, kam angeblich zu dem kuriosen Schluss, dass die Testpersonen sich vom Betrachten eines Stück rohen Steaks eher beruhigen ließen.

Desweiteren: Laut der UN-Ernährungsmittelbehörde FAO belegt Vietnam beim Fleischkonsum weltweit einen Platz im Mittelfeld (2007 war es der 92. von 177 Staaten). 41 Kilogramm Fleisch essen Vietnamesen im Durchschnitt jedes Jahr. Das ist zugegeben mehr, als beispielsweise Thailänder oder Filipinos verzehren, allerdings wird die Liste angeführt von der bekanntermaßen unglaublich blutrünstigen und kriegsversessenen Zivilisation der… Luxemburger (137 Kilo pro Person).

Bliebe noch hinzuzufügen, dass sich der Verlag, in dem der Text erschienen ist, mittlerweile offiziell entschuldigt hat: Der Vietnam-Text von Brinkley (immerhin Preisträger des renommierten Pulitzer-Preises) habe „nicht den journalistischen Standards entsprochen“, erklärt seit dem 1. Februar ein kleiner Text auf der Online-Seite. „Tribune Media Service hat einen sehr strengen Überprüfungsprozess für jeglichen Inhalt, und im Fall der Kolumne wurde keiner der notwendigen Schritte eingehalten.“ Für den Autor des Textes ist eine solche Erklärung eine ziemliche Ohrfeige.

Bleibt zu hoffen, dass die vietnamesischen Medien all diese Details auch tatsächlich wahrnehmen. In der Vergangenheit wurden manchmal aus kleineren Beiträgen aus sehr obskuren ausländischen Quellen große Meldungen oder auch Debatten gemacht, weil offenbar in vietnamesischen Redaktionshäusern bisweilen auch die Expertise fehlte, um festzustellen, dass ein bestimmtes Medium in seinem eigenen Land gar keinen größeren Einfluss verfügt oder selbst im eigenen Land unter einer gewissen mangelhaften Reputation leidet.

PS: Es gibt zwar wie gesagt „wenig“ Vögel, aber prinzipiell sehr wohl Vögel in Hanoi. Man kann sie morgens zwitschern hören, und einer der Gründe, warum man sie so selten zwitschern hört, ist vor allem die Tatsache, dass eine Motorrollerhupe lauter ist, als ein Vogel. Desweiteren gibt es sehr, sehr viele Ratten. Es ist nämlich ein Irrglaube, dass die Vietnamesen alles essen, was ihnen vor die Füße läuft. Stadtratten werden verschmäht. Die Ratten, die man vereinzelt tatsächlich auf Spießen gebraten sehen kann, sind handverlesene Feldratten, die sich in ihrem Leben von wenig anderem als Reis ernährt haben.

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