Vorsicht, bissiger… Ausländer!

Die ersten etwa zwei Jahre habe ich in kleineren Pensionen und Hotels gewohnt. Dementsprechend war es für mich eine Überraschung, als plötzlich an der Tür der eigenen Wohnung so viele Hausierer und Verkäufer klingelten. In Wahrheit offenbar kein seltenes Phänomen für Vietnamesen, die tagaus, tagein mit Angeboten über Insektenschutzmittel oder Telefonanbieter belästigt werden.

Das knifflige an der Sache ist, solche Leute von der Hausverwaltung zu unterscheiden, die ebenfalls in regelmäßigen Abständen Rechnungen unter der Tür durchschieben. Mittlerweile habe ich aber gelernt: Die Hausverwaltung klingelt niemals persönlich (sie schiebt allenfalls Papiere durch den Schlitz), sondern sie lässt bitten. Wenn auf der anderen Seite ein Mensch steht, ist es also entweder ein Verkäufer – oder der Pizzabote.

Seit einigen Wochen ist jedoch Ruhe. Erstaunlicherweise, denn eigentlich bietet sich das Hochhaus, in dem ich wohne, geradezu als einfacher Arbeitsstelle für Hausierer an. Viele Stockwerke, und auf jedem Stockwerk 14 Zimmer – da kann man schon mal gemütlich einen verregneten Morgen lang arbeiten, ohne nass zu werden.

Gestern habe ich durch Zufall an der weißen Wand neben meiner Tür gekrakelte Schriftzeichen entdeckt. „Tay“ steht da. Übersetzt: „Ausländer“ (genauer: Westler, aber eigentlich in der Umgangssprache alle Ausländer, die weiße Hautfarbe haben, egal, ob sie aus Australien kommen – das definitiv nicht westlich von Vietnam liegt – oder aus Russland – das wiederum in den meisten gängigen Sprachgebräuchen nicht gerade als „Westen“ durchgeht).

„Warnung vor dem Hunde“ hätte da wohl der Deutsche geschrieben. Übersetzt muss ich das nämlich wohl verstehen als: Achtung, hier wohnt ein schusseliger Ausländer, der eure Sprache eh nicht versteht, also versucht es erst gar nicht und spart euch die Arbeit.

Praktisch, sowas. Auch wenn man sich ein klein wenig stigmatisiert vorkommt.

4 Responses to Vorsicht, bissiger… Ausländer!

  1. martin says:

    jetzt bleibt abzuwarten, wie viele tay’s in vietnam diesen beitrag lesen und selbst tay an ihre tür kritzeln ;)

  2. dom says:

    witzig, allerdings hat man wirklich gerade aus deutscher sicht befremdliche Assoziationen bei solchen „Markierungen“, neutral ausgedrückt!

    übrigens war der „Westen“ schon immer eine historische und sprachliche Konstruktion, niemals nur geografische,
    siehe auch
    http://tinyurl.com/q5haes

  3. Martin says:

    … und außerdem…. wenn man weit genug nach Westen fliegt, segelt fährt, dann kommt man ja eben doch nach Australien… Also bitte,wer weiß welche tiefschürfenden Gedanken hinter dieser Wandkritzelei stecken.. Nette Anekdote!

  4. Matthias says:

    in Häusern ohne Hausverwaltung geht das irgendwie anders: Bei mir hat regelmäßig einmal im Monat eine Dame geklingelt um die (bei mir hohen..) Telefongebühren einzusammeln, eine andere für die (niedrige) Wasserrechnung. War ich zweimal nicht da, dann wurde das Telefon abgestellt :-)

    Hausierer gabs nie, dafür wurde jeglicher Müllsack, den ich die Straße gestellt habe binnen 15 Minuten von der Nachbarschaft (da kommen höchsten zehn Leute pro Stunde vorbei..) fein säuberlich analysiert, getrennt und war verschwunden. Ich weiss nicht,wer und wie, denn ich konnte nie jemanden beobachten, habe mich aber auch nicht auf die Lauer gelegt ^^ . Für Flaschen gibt es wohl soetwas wie Pfand, wenn man sie abgibt, aber was die mit den Verpackungen der „Deutschen“ Bratwürstchen und mit Melonenschalen wohl anfangen? Oder suchte man hier etwas anderes? Die Nachbarlichen Müllsäcke blieben jedenfalls stets an ihrem Platz, meine waren weg.

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