Die 55. Volksgruppe

Vietnam besteht laut Verfassung aus 54 Volksgruppen. Eine davon sind die Mehrheitsvietnamesen, auch „Kinh“ genannt, alle anderen sind die Minderheiten, und trotz aller Versuche, immer wieder zu betonen, wie sehr diese Minderheiten zur Kulturgemeinschaft gehören, schwingt doch bis heute bei dem Wort eine gewisse Abfälligkeit mit, eine paternalistische Sicht auf die kleinen Völker.

Minderheiten, das sind überwiegend Volksgruppen, die in armen, weit entfernten Regionen leben, und seltsame Bräuche verfolgen, so seltsam, dass man sie ihnen entweder austreiben muss, weil sie schädlich sind (Brandrodung), oder dass man sie zumindest touristisch nutzen kann. Dann schreiten die Behörden ein, und erklären den Minderheiten, wie wichtig es ist, ihre „kulturelle Einzigartigkeit“ zu behalten, und dass sie doch bitte wieder anfangen sollen, ihren Kindern bestimmte traditionelle Musik beizubringen, weil das viel wichtiger sei, als moderne Populärkultur.

Ich habe im Internet ein Dokument von 1979 gefunden, auf dem exakt festgehalten wurde, wer alles zu welcher Minderheitsvolkgruppe gehört. Daran kann man übrigens auch sehen, dass die Sache mit den „54“ ein klein wenig vereinfacht ist, denn unter den einzelnen Minderheiten verbergen sich oft gleich mehrere verschiedene Völker, Namen und Bezeichungen. Teilweise haben die einfach nur verschiedene Namen für sich, teilweise sind es aber auch tatsächlich völlig unterschiedliche Gruppen.

Die statistische Übersicht von 1979 verzeichnet allerdings nicht 54 Volksgruppen, sondern 55.

Wer bis ganz herunter scrollt, liest dort: „Ngoui nuoc ngoài“, auf Deutsch: Ausländer. In neueren Volkszählungen tauchen die zwar nicht mehr als eigene Kategorie auf, aber eigentlich hatten die Statistiker von 79 die Lage in Vietnam damit deutlich exakter erfasst. Schließlich lebt diese Minderheitsgruppe in einer ziemlich großen Zahl in Vietnam, wenn auch oft nur zeitweise.

Sie bevorzugen die Ballungsräume der großen Städte Hanoi und Ho-Chi-Minh-Stadt, unterscheiden sich also in ihren Siedlungsgewohnheiten deutlich von zahlreichen anderen einheimischen Volksgruppen. Ihre traditionellen Häuser nennen sie „alte Kolonialvillen“ oder „Hochhausappartments“, und ihre Speisegewohnheiten sind für eine Minderheitsgruppe ungewöhnlich divers, stechen meist aber sowohl durch eine gewisse Verschwendungssucht als auch durch ihre hektische Geschwindigkeit beim Essen hervor. Sie verfolgen allerhand seltsame Bräuche, die man ihnen teilweise eigentlich austreiben müsste, beispielsweise finden die meisten sich nicht im Großstadtverkehr zurecht.

Einige Bräuche sind allerdings auch interessant, zum Beispiel bringen viele von ihnen nach Ansicht der vietnamesischen Mehrheitsbevölkerung interessante Populärmusik mit ins Land.

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