Risikoabwägung

In Vietnam erregt aktuell ein Lebensmittelskandal mit Schweinefleisch die Gemüter. Verschiedene Züchter hatten ihre Schweine offenbar mit möglicherweise für die Verbraucher lebensgefährlichen Chemikaliencocktails gefüttert. Die Behörden raten deswegen, Schweinefleisch nur noch im Supermarkt zu kaufen. Denn dort lasse sich im Gegensatz zu Einkäufen auf dem Markt der Hersteller klar identifizieren.

Auf deutsche Ohren wirkt das ein wenig paradox, denn die deutsche Reaktion auf Lebensmittelskandale wäre möglicherweise, kein Fleisch mehr im Supermarkt zu kaufen, sondern stattdessen auf dem Markt – wo man direkt vom Hersteller kaufen kann. Viele der kleinen Straßenmärkte in Vietnam funktionieren aber anders. Hier verkauft eben nicht immer die Bauernfamilie, sondern oft einfach eine kleine Händlerfamilie, die wiederum ihre Waren von anderen Orten eingekauft hat.

Der Effekt der Nachricht ist aber ähnlich, egal ob Asien oder Europa: Die Kunden fangen an, das in Verruf gekommene Lebensmittel am liebsten ganz zu meiden. Bekannte erzählen nun, ihre Nachbarn würden stattdessen nur noch Hühner essen, und hielten sich jetzt eine Kolonie Hühner auf dem Dachboden. Das klingt natürlich einerseits nach praktischer Selbstversorgung, andererseits sollten beim aufmerksamen Nachbarn die Alarmglocken angehen. War da nicht was? Mit Hühnern?

Richtig. Die Vogelgrippe. Die ist in Vietnam seit einigen Monaten nämlich wieder aufgetaucht. In etwa einem Dutzend Provinzen gilt mittlerweile der H5N1-Virus wieder als bestätigt. Der Direktor des Tiergesundheitszentrums sprach von einer „klaren Bedrohung“. Und eine Bedrohung für den Menschen ist die Vogelgrippe bekanntlich nicht beim Verzehr von Hühnerfleich – sondern im Rahmen der Zucht. Tausende von Kleinzüchtern in den Städten, die sich zur Selbstversorgung Hühner halten, verschlimmern das Problem also nur.

Auf vergiftete Schweine mit der Privatzucht von Hühnern zu reagieren, ist also eine etwas fragwürdige Strategie. Für einige Familien gäbe es stattdessen schließlich die Möglichkeit, sich künftig von den Verwandten auf dem Land versorgen zu lassen (sehr, sehr viele Hanoier haben irgendwelche Verwandten auf dem Land und in diesem Fall heißt „auf dem Land“ tatsächlich in vielen Fällen auch, dass diese Verwandten ein Reisfeld besitzen). Auch diese Geschichte habe ich gehört: Eine junge Frau erzählt, wie ihre Tante die Familie bedrängt, künftig nur noch Reis aus der eigenen Produktion zu essen.

Die junge Frau findet das aber gar nicht so gut. Sie sagt, sie wisse nämlich, dass der Onkel massenweise Pestizide auf seine Reispflanzen kippe, um den Reis vor Schädlingen zu bewahren. Außerdem werde der Reis traditionell an der Dorfstraße zum Trocknen ausgelegt, wo äußerst dichter Verkehr herrsche. So richtig traue sie diesem „Landreis“ deswegen nicht.

Es ist also überall auf der Welt dasselbe. Freilaufende Hühner sind leider nicht immer überall auch „glücklich“, und das idyllische Dorf liegt nicht selten direkt neben einer vielbefahrenen Straße. Wieder eine Illusion weniger.

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